Blog

Schatzgrube durchgewurzelt

Bild

Urblogs aus grauer Swissfot-Zeit

Anfänglich wurden ESMONO-Blogs auf der Seite www.swissfot.ch publiziert, die allmählich verenden wird. Ich möchte einige Blogs aus der Urzeit in www.esmono.ch hinüberretten.

Man sagte, das sei ein „Fass ohne Boden“. Es wurzelt auch ohne Boden (siehe nur das Foto) …

Nur Texte übertragen. Um die Bilder zu sehen, suche unter gleichem Namen/Datum im Swissfot-Original-Verzeichnis:

Archiv 13.12.2014-12.6.2015

 Archiv 30.6.2012-2000

 

 

12. 1. 2010, Erdbeben

 

„Das Erdbeben in Haiti 2010 war ein schweres Erdbeben, das sich am 12. Januar 2010 um 21:53 UTC (16:53 Uhr Ortszeit)[1]ereignete. Das Epizentrum lag etwa 25 Kilometer westsüdwestlich der Hauptstadt HaitisPort-au-Prince, das Hypozentrum 17 Kilometer darunter. Die Stärke des Erdbebens wurde vom United States Geological Survey (USGS) mit 7,0 Mw auf der Momenten-Magnituden-Skala gemessen.

Ich hatte das bei Melissa überlebt, die bereits früher bei mir gearbeitet hatte. Nach langer „Flucht“, behindert durch Deutsche und Schweizer Fernsehstationen, reiste ich ins Chaos zurück. Ich hatte Melissa bereits meine AHV hinterlassen. Damit hatte sie hervorragende Leute gesucht und für Waisen- und Strassenkinder eine Schule aufgebaut.

Ich weinte, sammelte Waisenkinder, Freunde und Spender und gründete eine Schule. Sie heisst ESMONO für Ecole Soleil sur les Montagnes Noires, Sonne über den Schwarzen Bergen, und zählte bald 400 Schüler. Da haben wir sie gestoppt, da die Gebäude zum Platzen voll sind. Auch Wasser und Trinkwasser geben wir ab, an Schüler und Angehörige kostenlos.

Ich zog ins Haus Melissas, das rüttelte auch, Glas wurde zu Scherben am Boden. Auch wir biwakierten im Freien, für ein paar Tage. Dann folgte die Flucht in die Schweiz, und wieder zurück nach Haiti.

 

 

 

17. Jan. 2010, Schweizerschulen sind nicht einfach Schweizer Schulen

(Bilder aus der Vor-Erdbeben-Zeit)

„Prinzenstadt“ nenne ich Haïtis Hauptstadt, ist doch frei übersetzt und tönt viel schöner. Sie platzt aus allen Nähten und umfasste schon 2004 mehr als zwei Millionen Seelen. Die Strassen sind verstopft und lassen sich kaum mehr verbreitern, dafür wurden schon Tausende von Wohnhäusern abgerissen. Das schafft Preise !! Die Behörden versuchen die stattfindende Explosion mit aller Härte zu stoppen, zum Beispiel durch Streichung von Krediten für Projekte die das Cityleben attraktiv machen, auch Schulen. Projekte neben   aussen werden angeheizt, man versucht Verlockungen und Bevölkerung herauszuziehen und dort anzusiedeln, wo die Probleme nicht noch hochgeschraubt werden.

Eine solche Wachstumszone ist Gresye. Gresye, französisch Gressier, ist seit zwanzig Jahren mein Wohnort, aber auch eine Vorortgemeinde der Prinzenstadt. In der Zeit hat sich viel verändert. Als ich damals meinen Bauplatz wählte, wieherten noch halbwilde Pferde auf den Wiesen, nachts winkten Myriaden von Glühwürmchen mit ihren Lämpchen, und ausser zwei-drei Ruinen gab es kein Haus weit und breit. Heute leben hier 26’000 Menschen, hinter mir und seitlich und auf den Hügeln ist alles verbaut und zersiedelt ( vor mir schützt mich davor Sumpf und Meer ), und die hundert Meter hinter mir durchziehende N2 pflegt schon verstopft zu werden bis hier raus, zwanzig Kilometer von der Hauptstadt.

Die Behörden geben sich Mühe, die Wasserversorgung und Abfallentsorgung vorzubereiten, die Probleme in den Griff zu bekommen, der Bauverwilderung Einhalt zu gebieten und den paar übriggebliebenen Bauern noch etwas Land zum Arbeiten zu lassen. Ausser mehreren Schnapsmühlen, einer US-amerikanischen Zierpflanzenplantage und den unzähligen Bauplätzen gibt es kaum Arbeit. Es gibt seit ein paar Jahren eine Tankstelle, aber keinen Laden, auch kein Restaurant für Leute wie mich, die lieber internetten als kochen. Und für die grossen Schulen und die paar kleinen Missionsschulen und Waisenhäuser bleibt schon gar nichts mehr übrig, weder an Mitteln noch an Motivation.

Schon vor Jahrzehnen sind die US-Amerikaner gekommen, wie so oft, und haben die Defizite erschnüffelt. In Gressier-Center haben sie eine grosse Schule erbaut, und eine riesige Mission im Aussenquartier Collines, fünf km nördlich von hier, auch mit Schul- und Spitalzentrum bis hin zur Universität. Aber auch das genügt nicht mehr, auch Collines schickt sich an, aus den Nähten zu platzen. Diesmal hat das die Schweiz erschnüffelt und ist mit einem Erste Hilfe-Angebot eingesprungen, einem Schulangebot nach Schweizer Manier.

Das Schweizer Bildungssystem gilt trotz der wenig fruchtbaren Reformhektik, welche die Lehrerschaft teilweise in unzumutbare Bedrängnis brachte, seit Pestalozzi als musterhaft. Kein Wunder, dass der Begriff „Schweizerschule“ als Marke herhalten muss.“Schweizerschulen“ sind öffentliche oder private Bildungseinrichtungen, eben Schulen, die in der Schweiz oder im Ausland betrieben werden. In der Regel durch Schweizer Erziehungsfachleute, nach Schweizer Lehrplänen, in mindestens einer Schweizer Unterrichtssprache und häufig für Kinder von Schweizer Bürgern, nur leider nicht immer im Sinne Pestalozzis…

Unter der Bezeichnung „Schweizer Schulen im Ausland“ versteht man von der Eidgenossenschaft offiziell anerkannte Schulen, die durch die Schweizerische Auslandschweizer-Organisation betreut werden, es sind derzeit 17 an der Zahl, die über die ganze Welt verstreut sind und rund 6700 Kindern Unterricht nach schweizerischen Grundsätzen und Lehrplänen vermitteln. Es sind private Einrichtungen der einzelnen Auslandschweizer-Gemeinschaften, aber vom Bund anerkannt. Die Schüler können jederzeit ohne Probleme ins Schweizer Schulsystem wechseln. Falls sie mit der Matur oder mit dem International Baccalaureate abschliessen, können sie anschliessend in der Schweiz studieren. Falls sie das noch attraktiv finden.

Daneben gibt es auch private, nicht anerkannte, sozusagen „wilde Schweizer Schulen im Ausland“, die nicht zu der erwähnten Organisation gehören. So gibt es in Jacmel/Haïti seit Jahrzehnten das „Collège Suisse“, das von einem ausgewanderten Schweizer Lehrer aus humanitären Gründen betrieben wird. Es beendet bald das vierte Jahrzehnt seines Bestehens, und 35 Lehrer unterrichten 900 Schüler. Schulen die „nur“ von Schweizer Lehrern gegründet wurden und geleitet werden oder von Schweizer Spenden leben, wie die benachbarte Schule von SOS Enfants-Haïti, ebenfalls mit 400 Schülern, werden deswegen noch nicht als „Schweizer Schulen“ bezeichnet. Sie sind gleichsam Eigenmarken.

Volkstümlich werden natürlich auch Schulen so genannt, die die Schweiz als Entwicklungshilfe gesponsert hat. Vorgesehen sind deren 20. Eine erste wurde, quasi als Pilotprojekt, am 7.Januar 2010 in Collines, einem Aussnquartier von Gressier, eröffnet. Das einfache Schulgebäude umfasst vorerst vier möblierte Klassenzimmer für 300 Kindergärtler und Primarschüler, Schulküche und Lagerräume sind im Bau, und zu gegebener Zeit wird wohl eine Oberstufe folgen. Die Schweiz ( DEZA ) stiftet Schulhäuser und Mobiliar, das World Food Programme ( WFP ), die grösste humanitäre Organisation der Welt ), spendet die täglich vorgesehene warme Mahlzeit, und das Erziehungsministerium ( MENFP ) verspricht die Schulung der Kinder für das wirklich Brauchbare zu sichern und deren VERschulung zu verhindern.

Und wenn die Schulung gelungen ist ? Wer sorgt dann für eine entlöhnte Arbeit ? Ohne Ansiedlung grösserer Betriebe und Industrien bleibt der Jugend nur übrig, ( wohl vergeblich ) auszuwandern oder zu pendeln und die Strassen noch mehr zu verstopfen, viel Glück !

 

  1. 1. Feb. 2010, Heute beginnt die Schule wieder

Heute beginnt die Schule wieder, auch in der vor der Katastrophe noch eingeweihten „Schweizerschule“ in Gressier, die glücklicherweise den Todesstössen widerstanden hat. So sind auch die neunzehn weiteren Schulprojekte der Schweiz nicht gefährdet, in der nunmaligen Zeit sind die doppelt nötig, hat das fürchterliche Beben doch fast alle Schulen zerstört.

Ich bin vor einer Woche der Apokalypse entronnen und warte in der dominikanischen Hauptstadt immer noch auf einen Rückflug in meine Urheimat, die Schweiz. Im Hotel sehe ich die gleichen Fernsehbilder die Sie wohl auch kennen, und erhalte dieselben Informationen, nur kann ich sie vielleicht besser platzieren.

So hörte ich aus dem Fernsehen, dass Tausende von Schülern unter den Trümmern begraben wurden, dass immer noch 1,8 Millionen umherirren und heute wieder in den übriggebliebenen Schulen erwartet werden. Wieviele wirklich erscheinen, weiss man noch nicht. Zudem sind intakte Schulen eine Seltenheit und werden vermutlich verbreitet für andere Zwecke „missbraucht“, als Lazarette oder Unterkünfte. Der Schulbetrieb dürfte deshalb ziemlich gestört erfolgen.

Also ist laut einem gestrigen Telefonanruf Melissas ihre Familie immer noch in „unserem“ Nest, wo ich auch zehn Nächte ausgeharrt hatte. Die Familie geduldet sich da weiterhin und ist relativ intakt, doch die Erde schüttelt immer noch und ich habe Verständnis, dass zur Zeit niemand daran denkt, die Kinder in Schule und Ungewissheit zu schicken, zumal da die Schule immerhin mehr als eine Stunde weit weg liegt. Vater Mystal und die (indessen)  fünf Kinder denken immer noch eher, sich für mehrere Wochen aufs Land zurückzuziehen, wo im Ursprungsgebiet der Familie die Erde ruhiger ist.

Da jedermann hungert, Hilfsgüter nicht durchkommen, die Mitarbeiter humanitärer Organisationen durch Angst blockiert sind, in einem Gebiet wo Kannibalismus ohnehin üblich ist, die Hungernden öffentlich mit solchem drohen und man immer noch von 6000 schiessenden Verbrechern, 180’000 Getöteten, tausenden von zerstörten Häusern umgeben ist und von immer noch anhaltenden Erdstössen bedroht wird, da liegt das Bedürfnis zu überleben und in relativer Sicherheit zusammen zu bleiben näher als das, keine Ausbildung zu verpassen.

So beginnt in der traurigen Wirklichkeit die Schule gar nicht. Die Regierung hat aber ein Zeichen gesetzt, dass „sie“ wieder da ist. Und dass es weiter geht.

Leserreaktionen:

Dass ich einige Tage von e-Mails zugedeckt war, habe ich geschildert. Nicht gut, aber Panik war da. Und in dieser unterliess ich es anfänglich, die rührenden Zuschriften meiner lieben Leserinnen und Leser zu kopieren und zu speichern. Deshalb fehlen viele. Ich entschuldige mich dafür und gebe wieder, was noch vorhanden ist. Jedenfalls danke ich allen sehr herzlich für die tröstenden Worte und die zahlreichen Hilfsangebote. Für die ernst gemeinten nenne ich unten noch die Bankangaben.

Unter den verlorenen erinnere ich mich an die Zuschrift einer Schriftstellerin ( US ? ), die sehr ähnliche Geschichten schreiben soll und die meinen übersetzt und liest, sie wohnt zeitweise im Land und hat mir nach dem Beben intakte Unterkünfte angeboten, mit funktionierendem Strom und Internet. Das brauche ich nicht mehr. Aber für später suche ich trotzdem Kontakt, Name und Adresse dieser Person, vielleicht kann mir auch jemand helfen.

 

  • Du schreibst wieder, sehr gut! Hoffe dass Dir dies bei der seelischen Bewältigung des Erlebten etwas hilft.
  • Ich habe deinen Bericht in der Latina-press gelesen. So schrecklich alles, dass einem die Worte wegbleiben. Ich möchte helfen. Sag mir, wie ich das tun kann. Ich möchte einen Teil meiner Hilfe dir direkt zukommenlassen. Melde dich, sobald du kannst.
  • Ich bin erschüttert. Tränen. Nur kurz: Kann ich, können wir etwas für Dich tun? Bitte, scheu Dich nicht, es zu sagen. Du bist nicht allein.
  • Die Schreckensnachrichten sind deprimierend, so viel Elend auf der Welt! Was tun und wo beginnen? Dies sind für mich alte, ungelöste Fragen.
  • Erschütternd – da fehlen einem einfach die Worte… Ich habe übrigens ein paar Freunde informiert, vielleicht haben sie dich auch schon erreicht.
  • Bin soo froh, dass Du die Katastrophe wenigstens körperlich unversehrt überlebt hast! Als ich Dir am 13.1. morgens um 6 (12.1. Mitternacht bei Euch) schrieb, kannte man hier das Ausmass noch nicht. Habe in der Folgezeit erfahren, dass Du lebst.
  • Ha bi dä Latina Press gse, dass es Mail gschickt häsch. Gratulation. Wie isch jetzt da au mit em Chare?
  • Schau erst mal, dass Du wieder zu Kräften kommst! Machs guet + heb der Sorg!
  • Soeben in den 6 Uhr-Nachrichten vom Erdbeben gehört. Hoffe fest, dass Du + die Deinen unversehrt sind. Denke an Euch!
  • Ich mail Dir aus einem sehr traurigen Grund: dem Erdbeben vom 13.Jan.2010 ! Wie geht’s Dir und Deiner Familie? Wurde jemand von Euch verletzt? Wurde Dein Haus nicht beschädigt? Telefonisch konnten wir niemanden erreichen. Ob Du dieses Mail erhältst ist ebenso fraglich.
  • Es tut mir unendlich leid, dass dir das alles passiert ist. Aber Gott sei Dank: Du lebst.
  • Herzlichen Dank für deine Berichte. Ich kann mir nicht vorstellen, was du jetzt erlebst. Es ist zu traurig!
  • Eben lese ich im Internet über das schwere Erdbeben bei Euch. Ich bin in Sorge. Bitte antworte mir so bald wie möglich, damit ich weiss, dass Dir nichts geschehen ist.
  • Ich bin Dir dankbar für jedes Lebenszeichen von Dir. Wie kamst Du nach Santo Domingo? Hast Du etwas aus den Ruinen Deines Hauses retten können? Brauchst Du etwas? Kann ich irgendwie helfen? Wo ist Rosi?
  • Mehrmals habe ich mich in Bern erkundigt, ob von Dir irgend ein Lebenszeichen zu erhaschen sei. Eben jetzt, Dienstag Mittag, habe ich wieder angerufen, und endlich hörte ich die erlösende Botschaft: Herr Hegnauer ist wohlauf. Mehr war nicht in Erfahrung zu bringen. Nun, „wohlauf“ heisst ja einfach: Otti lebt. Aber sonst kann ich mich ein bisschen in Deine Lage einfühlen. Du siehst vieles von dem, was sich in letzter Zeit positiv entwickelte, wieder zerstört und mehr als nur dies. Nach dieser schrecklichen Katastrophe weiss man ja nicht, wo anfangen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Du andere Sorgen hattest, als mir zu mailen. Trotzdem bin ich froh, wenn ich bald einen Bericht von Dir selber höre, um zu erfahren, wie es Dir wirklich geht.
  • Ich habe die frohe Botschaft, dass Du noch lebst, gleich an unsere Freunde weitergeleitet. Herzlich grüsst und drückt dir den Daumen…
  • Ohne Lebenszeichen quält mich die Frage wie es Dir geht und ob Du immer noch in Haiti lebst. Und – was kann man nur machen um das grauenhafte Leid dieser Menschen etwas zu lindern ?
  • Kann ich Dir helfen?? weiss nicht wie… aber irgend etwas. Ich bin froh dass Du am Leben bist, aber sicher hast Du Freunde und die Früchte Deiner Arbeit dort unter Trümmern gelassen!
  • Wir ALLE hoffen, dass Du auch letzte Tage Glück hattest- in Deiner Wahlheimat. Konnten leider bisher keine imehl von Dir bekommen .
  • IS THERE ANYBODY OUT THERE WHO COULD GIVE US INFORMATIONS ON OTTO HEGNAUER – PLEASE: ALL THE BEST TO YOU FOLKS
  • HOI OTTI SCHÖN DICH WIDER BEGRÜÄSSÄ Z CHÖNÄ!!!!!!!!!!! ICH WÜNSCH DIR GANZ VILL CHRAFFT IDÄRÄ SCHWERÄ ZIT!!!!!!! GANZ LIÄBI GRÜÄSS THERES
  • Ich habe durch eine Suche über Google herausgefunden, dass Du lebst. Die entsprechende Website habe ich in mein Forum eingebaut, in dem ich auch nach Informationen über Dein Schicksal suchte: DomRep-Kuba-Info.
  • Es freut mich ausserordentlich, dass Du weiter unter uns bist. Sicher ist es nicht einfach, die materiellen Verluste zu verschmerzen. Aber Du willst ja noch einmal anfangen und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ich wünsche Dir alles Gute bei Deinem Neuanfang.
  • Wir sind glücklich von Ihnen zu hören. Glücklich, dass Sie am Leben sind, und das hat uns sehr erleichtert. Natürlich tut es sehr weh, wenn man allen Besitz verliert. Damit ist es aber leider nicht genug. Sie verloren ja auch unzählige, nicht in Geld bezifferbare Werte und Erinnerungen. Das – denken wir – schmerzt noch mehr.
    Schade, dass wir nun Ihr Türmli und Ihre Terrasse nicht mehr genießen können. Das sind verpasste Gelegenheiten, die nie in dieser Form nachgeholt werden können. Daraus werden wir jedenfalls lernen.
    Wenn in Haiti auch unser Haus wieder hergerichtet ist, werden meine Frau und ich gern anreisen. Vielleicht finden wir ja eine andere Terrasse, um unsere interessanten Gespräche fortsetzen zu können. Alles Gute, alle Kraft dieser Welt und herzliche
    Grüße.

 

12. April 2010, Zum Elstnertainment nach Norden

Das war die Reise zum Deutschen Fernsehen. Ich sei „Mensch der Woche“! Terroristen waren schon damals IN; deshalb waren dort alle Schachtdeckel verklebt. Trotzdem reiste meine Frau Rosi nach Deutschland, sie ist Haitianerin und arbeitet in einem der grössten Schweizer Spitäler.

Seit einigen Tagen fühlen wir uns betreut, wie seinerzeit während und nach der Flucht. Täglich haben uns rührige Damen telefoniert und sich nach Wünschen und Befinden erkundigt, schön, so umsorgt zu werden, wir können nicht mehr verloren gehen. Fehlt nur noch ein offerierter Kaffee, aber das funzt noch nicht durchs Telefon, bis heute. Mit einiger Verspätung bringt ein Kurier die Tickets des Reisebüros, darauf ist „ESTNERTAINMENT“ aufgedruckt, damit ist schon alles bekannt. Wir sind in eine gigantische Unterhaltungsmaschinerie eingespannt, schon die ganze Woche, und die tickt vorwärts, sekundengenau, wie eine Uhr.

Schliesslich war der 10.April 2010. Wir sitzen, meine Frau Rosita und ich, im ICE der Deutschen Bahn, und sausen nordwärts. Nach Norden sagt man auch für „aufwärts“, denn auch auf einer geographischen Karte ist Norden oben. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch, etwa wenn es mit den Kursen aufwärts geht. Und auch diese ICE- 1.Klassfahrt geht nicht nur wirklich nach Norden, sondern gibt uns das Gefühl, dass es auch sonst wieder aufwärts geht, wie immer nach einer langen Talfahrt.

Rosita hat sich dazu die richtige Lektüre gekauft: „Barack Obama, ein amerikanischer Traum. Eine beeindruckende Schilderung der Suche nach seiner Identität als schwarzer US-Bürger“. Dabei fielen natürlich zahlreiche Nebeninformationen für mich ab, über diesen raketenhaften Aufstieg in den Nordhimmel, dieser Persönlichkeit, die ja auch Haïti so sehr verhaftet ist. Und schon wieder wären wir beim Thema Märchen und Wunder, an die man glauben muss, damit es aufstellt.

So geht die Fahrt rasch vorüber, und schon sitzen wir im Taxi und rauschen durch prächtige Parkanlagen zum Dorint Hotel Messner, einer Luxusabsteige, wie ich sie mir seit 20 Jahren nicht mehr leisten konnte. Gesichter von Berühmtheiten tauchen hier wie Schemen im Nebel auf. Und kaum reicht die Zeit für eine flüchtige Ruhepause, Retablierung, einen kurzen Spaziergang und einen Imbiss. Und schon wieder laufen wir Barack Obama über den Weg. Ich frage nämlich den uns begleitenden Regisseur, warum denn auf der Strasse alle Schachtdeckel weiss versiegelt seien, erklärt der uns, das hätte der amerikanische Geheimdienst bewirkt. Kürzlich sei Obama hier durchspaziert und seine Sicherheitsleute wollten verhindern, dass sich im unterirdischen Röhrenlabyrinth gefährliche Elemente verstecken konnten. Mit einem Wagen des Fernsehstudios geht’s weiter. Im Studio treffe ich auch alte Freunde wieder, ein Fernsehteam war schon bei uns in Haïti, als unser Haus intakt und prächtig war, und es dort noch einiges zu filmen gab.

Nach einer schnellen Schminke gab es Probeaufnahmen, wohl durch den Fernsehfotografen, und ein Tonmeister versteckte Mikrophone unter meinen Kleidern. Dann musste ich ein Stockwerk höher klettern in die „Maske“, wo ich mich in zarte Damenhände begeben durfte und beschminkt, benebelt und bepudert wurde, dass mein Gesicht auch einem jener Nebelschemen glich – ich hörte jedenfalls nachträglich von grotesken Jüngerschätzungen durch Zuschauer, die gerne etwas über mein wahres Alter erfahren hätten. Über das wahre Alter spricht man eben nicht, wenigstens bei „Stars“. Das könnte Fans kosten…

Schon führt uns der Aufnahmeleiter hinunter ins Studio, es ist schon voller Zuschauer. Wir werden hindurchgelotst, meine Frau zu einem Zuschauerplatz auf der Seite, und auch uns werden Plätze zugewiesen, ganz nahe dem „Tatort“. Was folgte erlebte ich fast hektisch. Frank Elstner, der unter anderem im Südwestrundfunk die Talk-Show Menschen der Woche moderiert, stellte sich vor und erklärte mir ganz kurz den Ablauf der Sendung, für Lampenfieber blieb keine Zeit, trotz der Hunderte von Lampen, die von der Decke hingen. Da gab es so viele Beschäftigte, Regisseure, Techniker, Kabelträger und weiss nicht was, und im letzten Moment wurde noch umgestellt. Herr Elstner kennt mich aus meinen Geschichten und wollte mich zuerst als Menschen und Abenteurer vorstellen, er hatte sich eigentlich darauf vorbereitet, mit den drei Flugzeugcrashs zu beginnen, die ich schon heil überlebt hatte, und dann aufs Erdbeben überleiten. Da sich kurz vor der Sendung zwei Katastrophen in Polen und Russland abspielten, wobei die ganze polnische Elite ums Leben kam, entschloss er sich auf dieses sensibleThema zu verzichten und auf ein Höhlenmotiv auszuweichen. Die kommenden Fragen kannte ich ja ohnehin nicht, so spielte mir das keine Rolle. Vier Kameras waren im Einsatz, wovon eine an einem Kran. Die Sendung erlebte ich stressig, meine Sätze sind immer zu lang, und wenn ich in die Nähe der Hauptsache kam, die ich eigentlich sagen wollte, empfand ich mich unterbrochen durch ein anderes Thema. Ich passe eben nicht in eine tickende Maschine, mit so kurzem Takt. Es war so stressig, dass ich die Bilder und die Texteinblendungen nicht einmal gewahrte, und schon war meine Zeit um. Wenn Sie mehr wissen wollen, können sie die Sendung über untenstehenden Link nochmals abrufen.

Nach mir kamen die übrigen „Menschen der Woche“ an die Reihe, zuerst Petra Winter. Sie streitet für mehr Frauen in den Führungsspitzen und ist Chefredakteurin der Zeitschrift Cosmopolitan, Miriam Pielhau ist bekannt als Fernseh-Moderatorin und Autorin von „Fremdkörper“, in dem sie den erfolgreichen Kampf gegen ihren Brustkrebs schildert, der Pforzheimer Bürgermeister Alexander Uhlig wurde vor einer Woche nach 60 Stunden Bergnot von einem Polizeihelikopter gerettet und der Schauspieler Dirk Bach wurde unter anderem durch aufrüttelnde Filme und Tierschutz-Aktionen berühmt – ließ sich textilfrei fotografieren unter dem Motto: „Lieber nackt als mit Pelz“. Alexander Uhlig meinte nach der Sendung zu mir, eigentlich seien unsere Erlebnisse sehr ähnlich gewesen, ich unter Wasser, er unter Schnee, ist sogar chemisch das Gleiche. Ich lachte zurück, „Ja, nur fehlte bei mir der rettende Helikopter, und es war dunkel, beiTag und beiNacht“.

Schliesslich hatte auch die Sendung ein Ende, und im Vorraum warteten die Pressefotografen. Was für ein Gefühl, einmal abgeblitzt zu werden und nicht selber „abzublitzen“ ! Schliesslich ist man ja nicht jeden Tag bei den „Menschen der Woche“… Und ich bin wieder einmal, mindestens dank der „Maske“, zehn Jahre jünger geworden. Mindestens !

 

15. April 2010, Einer der letzten grossen Abenteurer dieser Welt

Und das bin ich im Schachtbiwak, ich ziehe natürliche Schächte vor wie man weiss, hier verstecken sich keine Terroristen wie befürchtet unter Deutschen Dolendeckeln.

SO stellte mich Frank Elstner am letzten Samstag seinen Zuschauern vor, den Gästen von „Menschen der Woche“ des Deutschen Fernsehens SWR. Schon in Abenteuer ist mein Beruf und Mein Leben ist Erleben und anderen Kolumnen habe ich geschildert, wie ich mir Leben vorstelle und gestalte, und warum. Das in zahlreichen Geschichten zu schildern machte mir und den Lesern besondere Freude und gehört zur Stufe 3 der Erlebnis-Trilogie, wie ich sie beschrieben habe: zum NACHERLEBEN.

Dabei schätze ich die Interaktionen und Reaktionen meiner lieben Leser noch mehr als das Schreiben der Stories und das Nacherleben der jeweiligen Abenteuer selbst, Reaktionen erfolgen als e-Mail- und Leserzuschriften, Anschlussgeschichten und Ergänzungen, persönliche Kontakte und Einladungen oder eben Medienkontakte wie jetzt das Fernsehen, eine Radiosendung ist noch geplant. Und unversehens gehört man zu den „Menschen der Woche“ und wird von den Pressefotografen abgeblitzt. Vom Subjekt zum Objekt ist es nur ein sehr kleiner Schritt.

Es fragten mich etliche, „Wie ist denn Frank Elstner auf Dich gekommen ?“ Dass der begnadete Präsentator zu meinen aufmerksamsten Lesern gehört, habe ich zwar vorher nicht gewusst, aber spätestens während der Sendung erfahren. Er sagte ja selbst, dass er sich mit meinem Leben beschäftigt habe, und pickte eines meiner alten Hobbies daraus aus: die Höhlenforschung.

Ich habe bekanntlich in letzter Zeit vieles erleben müssen, was mich zum Weinen brachte statt zum Schmunzeln, und ich schmunzle ja lieber, wie Sie auch. Die Reaktionen der Strasse, denn zuweilen wirst du mehr oder weniger sicher erkannt und sogar angestarrt wie ein Tier hinter Gitter, die lassen dich wieder schmunzeln. Und die Texte, die die blitzenden Journalisten zu den Bildern geschrieben haben, die wirst du gar nie sehen. Aber schon deren mentale Vorstellung kann „Schmunzelware“ sein. Und was du von Freunden und Bekannten zu hören bekommst, geht oft noch weiter. So habe sich gestern einer geharnischt beklagt, warum denn ausgerechnet ich zum „grossen letzten Abenteurer dieser Welt“ geworden sei, da könnte er mir doch Paroli bieten…. Abenteurer beginnen sich nun sogar zu konkurrenzieren ! Aber ein „normaler Abenteurer“ hätte mir eigentlich schon genügt, es hätte nicht gleich so ein Superlativ sein müssen. Aber dass Medien manchmal zum Übertreiben neigen, das ist eben meine Ansicht.

Latina Press Ausschnitt von der Sendung am 10. April 2010

Unser Mann aus Haiti Live bei Frank Elstners „Menschen der Woche“

Talkshow ist nicht gleich Talkshow. „Wo viel geredet wird, wird oft nichts gesagt“, meint SWR-Unterhaltungschef Rainer Matheis. Eine gute Talkshow wie „Menschen der Woche“ mache neugierig, unterhalte und werde dennoch einem seriösen Anspruch gerecht.

Vor drei Monaten bebte in Haiti die Erde. Dabei kam unser Freund und Redaktionsmitglied Otto Hegnauer nur knapp mit dem Leben davon, seine gesamte Habe wurde in seinem zusammenbrechenden Haus begraben. Solche Katastrophen kennt Hegnauer einige: Er hat drei Flugzeugabstürze überlebt und verschiedene andere Totalcrashs. Anfang Mai will der Schweizer in seine zweite Heimat Haiti zurückkehren und seine Freunde und Bekannte suchen und – er muss wieder einmal in seinem langen Leben ganz von vorne anfangen.

Am morgigen Samstag ist Otto Hegnauer vom „Wetten-dass?“-Erfinder Frank Elstner in dessen Talkshow „Frank Elstner: Menschen der Woche“ eingeladen. Im Rahmen der Sendung wird „Otti“ dabei von seinem bewegten Leben und von dem verheerenden Erdbeben auf Haiti, das sich die Karibikinsel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, berichten.

 

2010 April 26, Scheitern und Neuanfang

Vor ein paar Tagen habe ich im Internet einen interessanten Artikel gelesen. Ich zitiere daraus den Satz: „Die Wucht des Absturzes in den nächsten Aufstieg einbringen“. Der prächtige Satz passt für niemand besser als für mich, nach dem Verlust von allem Materiellen, was überhaupt möglich war. „Nur“ das nackte Leben blieb übrig; ist denn daneben noch irgendwas wichtig ?

In Abschied habe ich schon über Trennungs-Situationen geschrieben, die ich immer wieder erleben muss. Die meisten waren allein zu bewältigen, manchmal waren auch Freunde dabei, die mir halfen, in der Aussprache den Kontakt zu den inneren Ressourcen und die eigene Identität wieder herzustellen.

Was diesmal geschah, ist so ungeheuerlich, dass es ohne Rückhalt in der eigenen Familie kaum gelungen wäre. Es waren der Schweizer Botschafter, meine Frau und hundert Freunde, die mich sofort nach der Schreckensmeldung gesucht haben, gefunden hat mich nur der Botschafter. Dann brachen Strom und Telefonleitungen zusammen, solang ich in Haïti blieb. Meine Frau und die andern haben sich dann an die Botschaft oder ans Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gewendet, das aufgrund des ersten Telefonkontakts mit dem Botschafter alle beruhigte, mir sei nichts geschehen. Wie wenn mir „nichts“ geschehen wäre… Nichts ganz korrekt, weil ich zwar noch lebte und unverletzt war, aber Haus und alles Hab und Gut verloren hatte. Doch dies wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand.

Ich erinnere mich nicht mehr, wann mir der erste telefonische Kontakt zu meiner Familie gelang, wahrscheinlich erst nach zwölf Tagen, in Santo Domingo. Meine Frau bat mich inständig, sofort in die Schweiz zu kommen, aber das war nicht so leicht. Sie hatte zwar schon ein Ticket zu bestellen versucht, für mich und meine Pflegerin Melissa. Aber der Flughafen war für zivile Zwecke gesperrt und blieb das noch lange, und von Santo Domingo aus waren alle Flüge ausgebucht, für mehrere Wochen. Und der Flüchtlingsstrom aus Haïti flutete unaufhörlich weiter, Richtung Santo Domingo und Flughafen, von allen, die noch so viel Geld übrig hatten. Die meisten aber hatten keines, und mussten sterben, oder in der Hölle bleiben.

Jetzt bin ich in der Schweiz, auch bald nicht mehr. Die Trauerarbeit ist allmählich vorbei, es geht darum, aus der Opferrolle wieder zum selbst bestimmten Handeln zurückzufinden, in der neuen Situation wieder eine stimmige Identität zu gewinnen und zu neuen Perspektiven zu finden:

Akzeptieren, was ist wirklich passiert, was hat sich grundlegend verändert und was würde ich am liebsten tun, oder nicht tun. Loslassen des Alten, worauf werde ich jetzt verzichten, was sind die Vorteile und was habe ich noch immer, oder schon wieder. Was kann jetzt wirklich werden, was kann ich aus der neuen Situation heraus leisten, wer kann mich dabei unterstützen, mir helfen, und was brauche ich noch dazu. Welchen nächsten Schritt gehe ich jetzt, welchen Zeitrahmen gebe ich mir und wer begleitet mich dabei.

Das Erlebnis gleicht einem glücklich, fast abgeschlossenen Flug, wobei fast vor der Landung die Piste verschwunden ist. Da gibt es nur noch eines: Durchstarten, Ausnützen des noch vorhandenen Schwungs und Vollgas. Vorsichtig den Auftrieb vergrössern, Höhe und Abstand gewinnen, jetzt nur kein Schock ! Die Chance für einen neu gestalteten Aufstieg, der einzige Punkt für einen neuen Flug. Den „Alternate“, den Ausweichflugplatz, den man ja immer bereit haben sollte, kann man sich beim Aufsteigen, notfalls, immer noch überlegen. Dann hat man wieder Zeit. Voraussetzung für ein Sammeln der eigenen Kräfte und ein erfolgreiches Durchstarten. In den nächsten Aufstieg. Was schrieb doch das kleine Haïtianermädchen in der Zeitung ?: „Das Wunderschöne ist, dass es jeden Tag besser wird.“ Können wir von dem kleinen Mädchen etwa nicht viel lernen ???

 

27. April 2010, Ausgeglichen, glücklich, glimpflich
Wie mich das Erdbeben verändert hat

Hat mich das Monstererlebnis verändert und wie ? Ich würde lügen wenn ich Nein sagte. Ich bin mit Bestimmtheit verändert, in jeder Beziehung. Und die Veränderungsprozesse sind wohl noch nicht abgeschlossen, vielleicht überhaupt nie. Die Dauer der intensivsten, direkten Einwirkungen bei mir waren ja „kurz“, beschränkt auf die zehn Biwaktage im Freien, während es schüttelte, bebte und schoss, bis wir evakuiert wurden und wir uns beachtet und behütet fühlten.

Da gab es natürlich nackte Angst, ein für mich völlig neues Gefühl, hatte ich doch schon unzählige Erlebnisse in Gefahrensituationen in Höhlen, auf Fünf- und Sechtausendern, im Freien bei wilden Tieren, in Ausnahmesituationen in Flugzeugen und viele mehr stets furchtlos überstanden. Alle paar Stunden schüttelte die Erde, die umliegenden Hausmauern schwankten und verneigten sich, und in dunkler Nacht schossen uns die Ausbrecher um die Ohren. Die Angst war unbeschreiblich. Noch später wollte ich in Panik wegrennen, wenn in Paris tief unter dem Haus die Métro durchdonnerte, im Glauben, dass es wieder erdbebne.

Darauf die grässlichen Medienbilder, die Zeugenaussagen, die Handy-Anrufe, bis heute – auch die hinterliessen ihre Wirkungen, tausendfach stärker weil wir ja vorbelastet und direkt betroffen waren, aus der jüngsten Vergangenheit. Und dann erst noch der Überfall, nochmals ein Trauma. Vom zusätzlichen Schock für Melissa, als sie von ihren vier Kindern abgeschnitten wurde, sprechen wir hier gar nicht. Das folgt später. Und was mit den Millionen direkt betroffener Zurückgelassener geschieht, die all den Einflüssen seit vier Monaten ausgesetzt sind, bis heute, und die Bildung nicht haben um alldas zu verstehen, das ist völlig unvorstellbar. Von diesen armen Menschen kann ich gar nicht sprechen, ich spreche von mir.

Ich spreche von verschiedenen Gruppen von andern, die wir in unserer Umgebung antrafen. Zum Beispiel von den Anwärtern, in der nächsten Verwandtschaft, die nicht in Haïti waren, aber auch alles verloren, die jetzt keine Anwartschaft mehr haben. Mir persönlich war es ja immerhin vergönnt, gegen zwanzig Jahre an meinem Paradies zu arbeiten und es zu geniessen. Meine Frau aber kannte es nur aus den Ferien, hie und da, und träumte von einer Zukunft in ihrem ursprünglichen Heimatland, diese Zukunft ist nun verschwunden. Meine Tochter Nahomie, die in Paris studiert, hat ihr Traumzimmer und Rattanbett gar nie gesehen, weil ihr erster Besuch in Haïti erst vorgesehen war – für all diese Menschen ist der Totalverlust totaler als für mich, für sie bedeutet das den Verlust ihrer ganzen Zukunft.

Vielleicht deshalb empfand ich den Anfang in Europa etwas gespannt, die Stimmung wurde später zunehmend abgeklärter, ausgewogener, bedachter. Die fürchterlichen Traumata verschwanden mit der Zeit, ich wäre nicht erstaunt, wenn sie zurück in Haïti wieder auftreten würden. Natürlich bin ich interessanter geworden, bei Menschen die meine Herkunft kennen oder davon hören, es kommen auch immer wieder dieselben Fragen, und neue Bekanntschaften, etwa im Zug, sind ganz gewiss.

Mein Schlaf ist nicht mehr was er einmal war; während ich früher das Gefühl hatte, nie zu träumen, werden mir die allnächtlichen Träume jetzt bewusster. Es sind jedoch keine Alb- oder Angstträume, sondern blöd normal, einfach geträumte Wirklichkeit. Sie stören mich insofern keineswegs. Ich wurde auch schreckhaft, was ich vorher nie war. Ich erschrecke jetzt oft und wegen „nichts“, fahre zusammen und reagiere verstört.

Ich bin auch zurückhaltender und nachdenklicher geworden, zudem bescheidener, anspruchsloser, spartanischer, und extrem sparsamer. Denn sonst läge nicht einmal mehr ein Garten- und Freizeithäuschen drin. Und solche ging ich mit meiner Frau bereits besichtigen, im Hinblick auf einen eventuellen, zukünftigen Wohnsitz, oder wenigstens einen Briefkasten.

Angesichts des Millionenleides rundum, all der Menschen die ihre Lieben oder sogar ihre Glieder, Mut und Lebenslust verloren haben, bin ich zweifellos, sind auch die Meinen noch gebefreudiger, weitherziger, mildtätiger geworden. Es geht schon tief, zu sehen, wie dort drüben gerade die Ärmsten, die Hilfe selbst am dringendsten nötig hätten, die offenste Hand haben, das hat schon Kolumbus festgestellt, vor 500 Jahren. Und ich bin überzeugt, seit den 12.Januar 2010 ist das noch ausgeprägter, ich werde es in wenigen Tagen bestätigt sehen.

Ein bisschen sehe ich mich ferner im Spiegel von Leserreaktionen. Die schreiben mir etwa, man spüre in meinen Beiträgen, wie ich mich von Tag zu Tag mehr festige und auch schon wieder den Mut gefunden habe, zurück nach Haïti zu kehren, oder ich sei im Begriffe, wieder zu meinem alten Humor zurückzufinden. Solche Zuschriften sind natürlich Aufsteller, und nur mit Aufstellern lässt sich in dieser Situation weiterleben.

In Interview mit Otto Hegnauer fragte mich die Reporterin: „Wird man „religiös“ (als ungläubiger Europäer), anlässlich einer Katastrophe wie dieser? Was macht es aus? “ Und ich antwortete: „Herrgott, stellst du schwierige Fragen. Wobei „Herrgott“ hier keineswegs religiös gemeint war sondern „ungläubig europäisch“, eine Floskel des Erstaunens. Es gibt eben viele Interpretationen für dieses Wort. Vielleicht geht man nach „einer Katastrophe wie dieser“ nochmals über die Bücher, aber was das bringt ist vielleicht noch offener als es vorher schon war.

Ist Gott vielleicht eine INNERE Kraft, aussen wirkt Welt und Natur?

 

23. Mai 2010, Mein Haus und Haïti heute

Mehr als vier Monate sind seit dem Schrecknis vergangen, Millionen zittern immer noch unter Traumata, kleinere Nachbeben erschüttern die Erde immer noch, und die Trümmer meines und hunderttausender anderer Häuser liegen immer noch unberührt an den traurigen Stätten. Das verheerende Erdbeben hinterliess überall Male, Spuren und Veränderungen. Über die persönlichen Veränderungen und Bescherungen habe ich genügend berichtet; es bleibt mir jetzt die Auswirkungen auf Land und Leute zu beschreiben und zu bebildern, stets aus meiner Sicht. Das fürchterliche Erdbeben hat ungezählte Todesopfer gefordert, wovon man bisher 320’000 gefunden hat. Täglich findet man mehr. Das Beben hat auch Millionen von Hausruinen, unendliche Hoffnungslosigkeit und bodenlose Verzweiflung hinterlassen.

Es herrscht eine Phase zwischen Nothilfe, die noch in Koordination ist, und Wiederaufbau, der meist noch nicht stattfinden kann, da bis anhin alles unter Schutt und Schlamm lag und für Baumaschinen unbegehbar war. Aber die Planungsphase für den längst dringenden Wiederaufbau ist voll im Gange. Mindestens eine Million Menschen lebt in Zeltlagern und haben sich recht gut eingerichtet, von den ehemals Obdachlosen haben nun 90 Prozent ein Dach über dem Kopf, immer mehr Schulen sind als Provisorien wieder offen. In den Strassen jedoch ist die Zerstörung noch allgegenwärtig, und viele sind unpassierbar. Das Verkehrschaos ist unbeschreiblich, und man braucht Stunden, um die Stadt auf einer Hauptstrasse zu durchqueren.

Millionen von Tonnen Trümmer, unter denen sich noch Leichen türmen, versperren das Durchkommen, und man rechnet, dass die Abtragung noch mindestens zehn Jahre andauern wird. Die Menschen reagieren fatalistisch, mit Galgenhumor, wenigstens kann man über die Schutthalden abrutschen zum Neubeginn, und über die Schlammberge geht es aufwärts – wenn sie einmal trocken sind. Aber sogar das Warten dauert noch ewig, niemand weiss wie lange, und es braucht Geduld, mehr als die meisten haben.

Heute will ich zum erstenmal mein Haus besuchen, oder was man davon noch erkennt. Ich war noch nie dort, seit dem grossen Einsturz, und ich weiss noch nicht, ob und wie man hinkommt, ein Fahrzeug hab ich auch nicht. Aber ein Foto ist endlich überfällig, für meine Familie in Europa, und für meine Leser, auf der ganzen Welt. Das braucht Mut und Zuversicht.

Sogar die Pflanzen starben, Bäume und Blumen bluteten. Mein Herz blutete auch …

 

11. Okt. 2011, Demos gegen (fremde) Schulkosten

 

Nachdem die Strassen kaum ein halbes Jahr Ruhe geniessen konnten, beginnt es schon wieder zu gären. Helikopter knattern fast täglich durch die Luft, und am Boden werden immer weitere Quartiere abgesperrt, die entstehenden Staus sind kaum mehr zum Aushalten. Mit ein Grund, dass ich vorwiegend „zuhause“ bleibe. Die hitzigen Diskussionen der Jungen auf dem Flachdach vor dem Haus sind interessanter als die Zeitung, die mir hin und da auch auf dem Berg oben zugespielt wird.

Danach waren es soziale Bewegungen, die in der vergangenen Woche auf die Strasse gingen. Wort- und federführend ist vor allem die Gewerkschaft der haïtischen Seminaristen (UNOH). Sie verurteilt die Absicht des Präsidenten und des Chefs der Polizei, soziale Bewegungen im Keime zu ersticken. Die Proteste richten sich vor allem gegen das Verzögern und Verheimlichen des Gesetzes über die Schulkosten, das schon im September 2009, also lange vor dem Erdbeben, verabschiedet worden war. Die Bevölkerung wird aufgefordert, das nicht hinzunehmen und auf die Strasse zu gehn. UNOH und angeschlossene Gewerkschaften wollen den Staatspräsidenten damit zwingen, das Gesetz über die Schulkosten zu veröffentlichen, das durch das Parlament bereits schon läbgst bewilligt und damit gültig war. Auch Elternvereine und andere Bereiche der Gesellschaft schlossen sich an, um Martelly zu zwingen, mit dem versprochenen Programm der Gratisschulung Ernst zu machen. Damit werden unsere Bemühungen, die Schule „Ecole Soleil sur Montagnes Noires“ (Sonne über den Schwarzen Bergen) in Lakou-mango unterstützt. Mit welchem Erfolg, können wir nur hoffen.

Der erwähnte Verband wie auch andere Gewerkschaften prangern an, dass Staatspräsident und Polizei „alle Formen des Protestes verhindern wollen“. Der Koordinator der Lehrergewerkschaft, Josué Mérilien, hat die Schaffung einer Volksmiliz bekannt gegeben, um die Manifestationen zu schüren. Gemäß Mérilien versuchen die neuen Behörden, die sozialen Bewegungen kriminalisieren. Er liess wissen, dass dieser „schauderhafte Plan“ des Staatschefs nicht realisierbar sei, da das Demonstrationsrecht im Laufe einer langen Geschichte erkämpft worden sei. Vor seinem Abflug zur 66. Versammlung der Vereinten Nationen habe Martelly auf die neulichen Protestbewegungen auf denStraßen reagiert und bekannt gegeben, „die Stunde der Unordnung sei nun vorbei“. Es werden weitere Demonstrationen angekündigt; mit dem Hausfrieden ist es scheinbar vorbei.

Nach anderen Quellen soll der Präsident im Gegenteil veranlasst haben, dass unten in der Stadt Schüler in Bussen gesammelt und zu Schulen geführt werden, in denen sie Gratisunterricht geniessen. Was Wahrheit ist, kann ich wieder einmal nicht sagen, vielleicht auch beides. Jedenfalls politisiert sich die Schule, und man spricht von ihr. Man muss ja immer das Positive sehen.

 

26. Aug. 2011, „Die Welt geht unter, die Sonne auf“

 

Die Zeit ist subjektiv, die Welt auch. Sie gehe unter, die Sonne auf. So ist unser Bild. In Wirklichkeit dreht sich die Erde, das „weiss“ jedes Kind. Wirklichkeit und Bilder sind eben anders. Auch die von der Welt, und ihrem Untergang

Das Bild von den Wellen mit ihren Bergen und Tälern stimmt zwar, ist aber reichlich abgegriffen. Fast könnte man von einem Rezept für Geschäftemacher sprechen. Der Crashmöglichkeiten sind zu viele. Die Crashpropheten ziehen ihren Nutzen, denn das Geschäft mit der Angst ist das „beste“. Die Menschen sind in nichts so erfinderisch wie im Schaffen neuer Ängste, und im gleichen Zug der Gegengifte, die sich versilbern lassen

Was ist das denn, die Welt? Die untergehen soll? Für mich war eine Welt das Haus am Meer, mit den kreischenden jungen Eulen, der tropische Garten, mit den Kolibris und Boas, von denen man nur die Spuren fand – die Riesenschlangen selbst, die gab es fast nur im Kopf. Die Geister der Bücher ohnehin – und eigentlich ist ja nur zusammengebrochen, was ausserhalb des Kopfes war. Die Welten IN dem Kopf, die sind geblieben. Für die wäre Weltuntergang der Weggang des Lebens. Wie für die 316’000, für die WAR es der Weltuntergang, damals am 12. Januar 2010

Aber die Sonne ging wieder auf, und mit ihr ein neuer Tag. Auch Haïti stand wieder auf, zwar ein anderes Haïti als vorher, in dem man Schönheit und viele andere Werte suchen muss, wahrscheinlich für lange, vielleicht so lange dass es erst andere Menschen erleben werden. Es war ja kein Untergang, nicht für die Welt, und auch nicht für Haïti. Vielleicht für die Um-Welt

Auch mich könnte man als Profiteur betrachten. Ich habe zwar meinen Weltuntergang erlebt, mein vorgesehenes Altersparadies ist zusammengebrochen, fast ist man versucht zu sagen, auch ich ziehe meinen Profit aus dem Crash: Fernsehen, Mann des Monats, mehr Leser für meine Internet-Geschichten, jetzt sogar ein Buch mit dem Untertitel „Der Weltuntergang wird in Haïti geprobt“ (Alma Zombie. ISBN 978-3-86279-033-3, sollte ca. im Juni 11 erscheinen, hat aber noch nicht einmal die Druckerei erreicht … )

Aber schon lange vor meinen Büchern haben sich Menschen Gedanken über die Welt gemacht, und gleichzeitig über den „Weltuntergang“. Solang es sie gibt. Zum Beispiel als man sich die Welt als eine scheibenförnige Insel inmitten von Ozeanen vorstellte. Auch als man das sich ständig verformende, fibrierende Geoid austasten und vermessen lernte, blieb bei vielen Menschen das Weltbild im Sinne von Weltanschauung oder Weltbild bestehen. Religiöse Vorstellungen in allen Gegenden, Religionen und zu allen Zeiten waren die Haupturheber dieser Bilder, von denen sich schliesslich jeder sein eigenes macht

Wenn du MICH fragst, beschränkt sich WELT keineswegs nur auf Globus, Kosmos oder Universum, sondern hat mit SEIN überhaupt zu tun. Im Unendlichen, wie in jedem Individuum, selbst unbewussterweise, zB. in einer Ameise. Die Welt ist eben subjektiv, ist „nur“ ein Bild. Wenn das Leben auf einem Planeten erlischt, gehen selbstverständlich auch die Bilder aus, die vorher in den Wesen waren

Ein Planet wie der Erdball kann kaum untergehen, untergehen kann höchstens die Menschheit oder sogar das Leben darauf. Und der Planet kann anders werden, irgendwie. Aber..ein Weltuntergang ist das noch lange nicht. Denn die Sonne „geht täglich auf“, bis auch sie „untergegangen ist“. In Wirklichkeit hat sich nur der Erdball gedreht, und es wurde dunkel. Selbst dann dreht die Welt weiter. Es wird „immer“ wieder hell. Welt ist UNSTERBLICH.

 

17. Dez. 2011, Morgengold nach langer Nacht (Mit 80 fängt das Leben an)

 

Diese Kolumne ist doppel- oder sogar tripelzüngig – sie betrifft die Morgenstimmung, unsere Schule und mein Leben. Vor oder über meinem Bett wusste ich stets den Blick auf Gold einzurichten, „Gwace a Die“ (Grâce à Dieu), wie in Haïti die Menschen sagen.

Ich habe sie gefunden, die goldenen Freunde, die mir helfen, und Stimmungen zum Erwachen unter dem Himmel, unter der obersten Arve über der Waldgrenze am Piz Mezzaun nahe dem Nationalpark, im Sandbett der Sahara neben den schmatzenden Kamelen und unter dem Konzert der Hunde und Hähne aus der im Schluchtgrund darbenden Oase herauf, aus dem Berghüsli meines Vaters inmitten von Gletschern, damals hoch über der Sustenpassstrasse, oder verblendet durch die Farbgläser unter einem Kirchenfenster, während mich frühmorgens ein Organist mit seinem Konzert aus dem Schlaf spielte. Ich hatte verbotenerweise in der Kirche biwakiert, um den erwarteten Augenblick zu geniessen, hatte die Kirche etwas zurechtgebogen nach meinem Gusto.

Auch in der Bergburg schlafe ich zwar nicht unter freiem Himmel, aber mit offener Tür, es ist ja warm, und so spüre ich die Natur schon wenn sie mich frühmorgens weckt, mit purem Gold im Osten, wo über der Kordillere die dominikanische Grenze verläuft und die Berggeister nicht mehr wissen, wo sie ihre goldene Flut noch abladen können, es ist kein Platz mehr. Die ich geniesse, solange ich kann, denn schon nach Minuten ist sie vorbei, weicht dem Alltag, der sein Gold meisterhaft versteckt.

Heute scheint es in die Länge gezogen, nach meinem zweiten Motto „Mit 80 fängt das Leben an“ (ich habe Udo Jürgens damit um 20 Jahre überflügelt, der mit seinem Schlager „Mit 60 fängt das Leben an“ erst richtig berühmt wurde, und man hatte den Eindruck, auch glücklich (mein erstes Motto ,heisst „Schmunzeln bringt Leben, Weinen den Tod“. Also lasst uns schmunzeln). Und übrigenswelch ein Zufall – ausgerechnet heute trete ich mein 80stes an – ich stosse mit meinen Lesern darauf an, virtuell, versteht sich! Prost, DEM NACHBAR NACH! (mein Nachbar heisst Exumé, ist Pflanzendoktor, ist bald 100 und steigt noch auf die Bäume!!! Auf den Bäumen lebt sich länger).

Und à propos „Morgengold nach langer Nacht“ meine ich das nicht wörtlich, denn das Wetter kann auch einmal anders, sondern symbolisch. Wenn ich den Blick von der Grenzkordillere etwas wegsenke, fällt er auf den tiefen Schluchtgrund von Lakoumango, der noch im Nachtschatten dahindöst, und mitten in den mageren Steinhäuschen des Dörfchens liegt die „Soleil sur les Montagnes Noires“, die Schule, die noch im Morgengrau vor sich hindöst und noch nicht aufgegangen ist, gleich beginnt sie aufzugolden.

Schon den vierten Monat kommen die Knirpse zur Schule, jeden Tag, und Mütter-Lehrerinnen arbeiten für Gottes Lohn. Ich berichte fleissig über die Schule, weil sie mir Freude macht, 50 kleine Cocorats von der Strasse wegrettet, zu Alphabet und Ziffern und damit zu einiger Bildung führt. Anfänglich haben uns die verbildeten Europäer ausgelacht, denn die haben gelernt, dass man zuerst eine rechte Ausbildung veranstaltet, die dauert bis ganze Schichten von Kindern vorbei sind, ohne Alphabet und Ziffern. Aufgewachsen auf der Gasse.

An meinem letzten Job arbeitete ich für die Ausbildung, für die Menschen in verschiedenen Ländern und Sprachen, für viele Mitarbeiter und Berufe. Das konnte man nur mit Medien leisten, und dafür brauchte es Autoren. Die wir eigens aus- und weiterbildeten, während Jahren. Die Krux war, dass ihnen ihre Produktionen nie gut genug vorkamen, nie genügten, stets erst fertig waren, wenn sich die „Lehrlinge“ anderswie klug gemacht hatten, und man die teuren Dinger nicht mehr brauchte. Ausbildung riskiert, zu spät zu kommen. Die alte Krux.

Initiantin der Schule (ESMONO = Ecole sur les Montagnes Noires) ist Melissa, die selber 4 Kinder hat und auch keine Ausbildung, aber die 4 sind schon ausgestängelt aus den Problemen der ESMONO. So gründete Melissa zusammen mit den Müttern GEGENWÄRTIGER Knirpse eine Schule, ohne etwas, Idee ist doch alles. Die Frau hatte früher in meinem prächtigen Haus gearbeitet, auf dem Hügel am Meer bei Gresye, und hat mir das Leben gerettet, damals als das Schreckensbeben in Sekunden Hunderttausende von Menschen dahinraffte. Ich überlebte und beschloss, inskünftig für meine Retter zu leben.

Indessen verging ersten Lachern das Lachen, denn täglich treffen Geschenke ein, Bleistifte, Farbstifte, Kreide, Papier und Kleider, schon zweimal war ein Fotokopiergerät dabei, das haben wir jetzt in Reserve. Es gibt nämlich unten noch keinen Strom. Alles von Einheimischen die es selber nötig haben, von Hilfswerken und Behörden gibt es gelegentlich wenigstens einen Besuch oder das Versprechen eines solchen. Die Schule ist zur Zeit beim Anmeldungsprozess im Ministerium! Wir bleiben zuversichtlich.

Seit 25 Jahren baue ich an meiner Internet-Seite „Swissfot“, damals noch ein Schweizer Fotoportal. Aus Lust und ohne Gewinnabsicht. Tausende von Links sind dazu gekommen, und die Inhaber der Firmen scheinen das zu schätzen. Denn sonst würden sie nicht meine Adresse suchen, mir schreiben und um Aufnahme von Klicklinks zu ihren Bewegungen und Ideen bitten. Ich habe das stets gratis geleistet, aus Freude und Lust. Swissfot wurde zu einem beachteten Kulturportal. Meine letzte Idee war, das weiterhin gratis zu tun, aber als Gegenleistung freiwillige Geldspenden für unsere Schule zu erbitten. Und siehe da: erste Zusagen sind eingetroffen!

Reklame im Internet ist widerlich und aufdringlich, ich versuche sie sympatisch zu machen, humanitär, dienlich für einen guten Zweck. Und erst noch freiwillig. Falls du selber mitzureden hast in so einer Gruppe, deren Ziele nicht daneben liegen, bitte ich um eine Zuschrift, wir werden den Weg finden. Mit oder ohne Erwähnung, je nach Wunsch. Wichtig ist nur eines:

ESMONO muss weiterleben!

 

 

22. Feb. 2012, Die Rucksack-Lehrerinnen. Freudentag, Schweizer Spenden angekommen!

Die Lehrerinnen arbeiten nun schon seit einem halben Jahr, Tag für Tag, um Gottes Lohn: Melissa, Wiselaine, Viviane. Sie haben kein Diplom, aber sie bereiten ihren Job schon die ganze Nacht durch vor. Offenbar geht ihnen langsam nicht der Schnauf, aber das Ersparte aus. Denn sie kommen jetzt in der Bergburg essen und biwakieren oft auch gleich noch hier, sodass ich heimliche Eskapaden besser im Auge habe. Und solche scheinen sich in der Tat allmählich einzuschleichen. Die «Stunde der Komödienten» wird langsam zum Renner, sogar zum Dauerrenner, zum «JAHR der Komödienten», mindestens (frei nach Graham Greene … )

Aus dem Dreigestirn entwickelt sich langsam ein Triumvirat, würde man sagen, wenn es nicht Jungfern wären. Niemals würden sie klagen oder gar fragen, wenn ihnen etwas fehlt. Sie verstecken das lieber, aber meine Augen sind noch scharf. Sie helfen sich beim Zusammenstellen und Verpacken von Pèpè (Strassenverkaufsgüter in Haïti) für Wiselaine.. Sie packen nach der Schule Dutzende von Zahnpasten, Parfums und andere Gütterli (Fläschchen) ein, und Wiselaine taucht mit einem vollgestopften Riesen-Makout (Bürde) auf dem Kopf und mindestens einem weiteren im Rucksack in die Abenddämmerung ab. Ich frage sie diskret, um Brüskieren tunlichst zu vermeiden, ob sie neuerdings Madan-Sarah (Strassenverkäuferin) spiele. Sie nickt beschämt

A propos Tonton Makout: das ist der Name eines gefürchteten Geheimschergen aus der Zeit der schlimmsten Diktatoren. Der Tonton war der Onkel und der Makout die Bürde, der Tragsack, in dem die Bauern ursprünglich ihre Pflanzprodukte und später unfolgsame Kinder zu Markte trugen, und bei Duvalier & Co. wurden daraus missliebige Schreier und Oppositionelle. Die Endstation hiess Fort Dimanche, und da gab es weder Erbarmen noch Gnade

Doch zurück zu den Pèpè- oder Rucksack-Lehrerinnen. In der Schweizer Schulgeschichte gab es «die Rucksackbauern», eine Klasse zur Zeit der Industrialisierung. Es waren die Bauern, die das Wunder von der neuen Industrie erwarteten, aber in Wirklichkeit noch zwischen Webstuhl und Ziege hin und herpendeln mussten. Und so gibt es in Haïti jetzt eben auch «Rucksack-Lehrerinnen»

Einige liebe Spenden für die Schule aus der Schweiz habe ich schon direkt verdankt, als sie zwar „angekommen“, aber noch nicht „greifbar“ waren, sie wurden auch unter den „Spendern“ in obigem Link erwähnt. Jetzt sind die Gelder da, und die Schule kann weiter ausgestattet werden, eine dritte Klasse ist (über)fällig (siehe Linklastig heisst nicht Linkisch und Die Masse kennen wäre schon viel )

Draussen kreisen Helis. Man sagt, mit dem Sicherheitsrat, der seine Schulreise mache, wohl so getimt, dass die Interessenten privat verlängern und gleich den Karneval besuchen können, sie haben ja nicht schon genug davon! Denn gleich ist Karneval. Haïti ist interessant, Haïti lohnt!

 

13 April 2012, Hegnauer-Marken

Dass ich ein „lebenslanger Sammler“ war und dass das Ende sehr plötzlich kam, habe ich schon bis zum Überdruss erwähnt (zum Beispiel im „UNBEBEN“). Denk, ich war nicht nur Leseratte: Otto Hegnauer, Von der Leseratte zum Erlebnisdrachen (HIER bestellbar) , sondern auch Briefmärkeler. Auch davon kannst du wahnsinnig viel lernen.

Also, schon seit Knirpszeiten hatte ich Briefmarken gesammelt. Das Sammeln wurde mir ausgeschüttelt, dafür findet sich jetzt mein Name auf gewissen Briefmarken. Das hätte ich mir damals nicht träumen lassen. Ich war weder Narzisst noch zählte ich mich zu den „klugen Köpfen“. Trotzdem bin ich froh, in späten Tagen noch berühmt zu werden. Das muss ich, denn ich will ja Bücher verkaufen, für Strassenkinder und humanitäre Zwecke. Das geht nicht ohne Reklame, gern oder ungern

Kluge Köpfe, ich zähle mich wie gesagt nicht dazu, deshalb hat es mir ja glücklicherweise auch nicht zum Abbild des Kopfes sondern nur des Namens gereicht, also kluge Köpfe auf Briefmarken sind eine Knapp-, aber keine Neuheit und seit jeher verbreitet, das haben wir schon in anderen Artikeln gelesen. Doch Bücher auf Briefmarken sind weltweit selten. Und MEINE Bücher auf Briefmarken sind sogar eine Neuheit! Und eine wohltätige Erfindung, denn sie macht Reklame für meine Bücher, auch für OTTOS TIERgeschichten, erfahrungsbericht, das demnächst, und SCHULE UNTER DEM MANGOBAUM, das etwa in Jahresfrist erscheinen wird. All meine Bücher sind wohltätig, denn ich schreibe sie für irgendwelche Erdbebenopfer, also für wohltätige Zwecke. Zum Beispiel SCHULE UNTER DEM MANGOBAUM ist den Strassenkindern von Lakou-mango gewidmet. Die Briefmarken werden zusätzliche, beachtliche Reklame machen und die Buchverkaufszahlen in die Höhe treiben. Da die Verkaufserlöse ausschliesslich und direkt in diese Schule fliessen, ist damit den Kokorat (Strassenkindern) am wirksamsten geholfen

Motive von Briefmarken sind künstlerische Darstellungen aus den Bereichen Kultur, Natur, Technik, Sport, Bauwerke, Kunst, wichtige Persönlichkeiten und aktuelle Ereignisse. Früher waren es Bildnisse von Monarchen, die zu ihrer eigenen Selbstverherrlichung und zu der der Länder verwendet wurden. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte die Verbreitung der Briefmarke ihren Höhepunkt. Der Brief war dank des stetigen Ausbaus der Eisenbahn zum wichtigsten Kommunikationsmittel geworden. Die Auflagezahlen schossen in die Höhe. Österreichische Briefmarkenwerte zu fünf und zehn Heller aus dem Jahre 1908 hatten eine Auflagezahl von je über drei Milliarden (3.000.000.000) pro Stück. Sie konnten natürlich nur im damaligen Österreich, das war der österreichische Teil des Kaiserreichs Österreich-Ungarn, verwendet werden, da Ungarn ab 1867 seine eigenen Briefmarken herausgab

Mit der Zeit entwickelte sich auch eine Klebesprache. Durch die Stellung der Briefmarken auf dem Brief, beispielsweise verkehrt herum aufgeklebt, quer oder nach rechts oder links geneigt, konnte man dem Briefempfänger geheime Botschaften überbringen. Mit der Zeit verschwand diese Geheimsprache wieder

„In Deutschland werden Postwertzeichen durch das Bundesministerium der Finanzen unter Mitwirkung eines Kunst- und eines Programmbeirates für die Deutsche Post AG herausgegeben. Der vom Künstler eingereichte Entwurf muss in sechsfacher Vergrößerung erstellt sein, damit Details genauer erkennbar sind. Da es sich bei Briefmarken nicht um amtliche Werke handelt, unterliegen sie dem Urheberrechtsschutz“ (Zit.Wikipedia). Die Marken für Briefpost sind heute meist schon auf Umschläge aufgedruckt, um die Zähnung und das Abtrennen von den Bögen zu vermeiden.

Die Deutsche Bundespost gibt in Zusammenarbeit mit dem Wagner-Verlag zu jedem Buch von mir eine 55-Cent-Briefmarke heraus, Die Briefmarke ist auf einem querformatigen DIN-Umschlag aufgedruckt, der innerhalb Deutschlands über die Deutsche Bundespost versendet werden kann. Die Auflage beträgt für ALMA ZOMBIE 20 Stück. Davon stehen 18 Stück zur Versteigerung zur Verfügung; ein Stück behält der Autor Otto Hegnauer und ein Stück der Wagner-Verlag. Für VON DER LESERATTE ZUM ERLEBNISDRACHEN und MÄRCHEN AUS DER VAUDOU-TROMMEL hat der Verlag Auflagen von je 1000 Stck. übernommen und verwendet sie zur Frankierung seiner Geschäftspost.

Über die Marken zu OTTOS TIERGESCHICHTEN und SCHULE UNTER DEM MANGOBAUM werde ich erst etwas verraten und auch die Motive zeigen, wenn die Bücher einmal erschienen sind

Seit 2002 ist es in Deutschland ausserdem möglich, Postwertzeichen aus dem Internet auszudrucken. Durch die Postreform mit der einhergehenden Aufweichung des Briefmonopols ist es neuerdings auch für private Unternehmen möglich, „nichtamtliche“ „Briefmarken“ herauszugeben. Nichtamtliche Briefmarken sind von privaten Postdiensten selbst erstellte, nicht hoheitliche Marken, die daher auch nicht mit dem Aufdruck „Deutschland“ versehen sind. Dabei handelt es sich um eine reine Privatangelegenheit dieser Dienste. Solche Marken sind urheberrechtlich geschützt

Du siehst, zu Zeiten der Tonton Makut war es noch einfacher …

 

20. Juli 2012, ESMONO läuft nun bald 2 Jahre

 

Die angehenden Schreiberlinge sind in den „Ferien“, sie haben die auch nötig, und die sind im Quartier. Wir hoffen immer noch, in diesen Wochen die Löcher zu stopfen, die in den Mauern und die im Geldbeutel. Es wird langsam schwierig; eine „Gratis“-Lehrerin hat uns leider schon verlassen. Dabei brauchen wir noch mehr, das wird wohl nicht mehr ganz unentgeltlich möglich sein.

Wir werden versuchen, hier ein klein wenig zu verbessern. Auch hinsichtlich des Schulhauses spähen wir nach erweiterten Möglichkeiten. Mehr Lokalhilfen und eine Vertragsverlängerung um ein drittes Jahr sind unter Dach. Es werden immer mehr Kinder, wir haben deren Zahl verdoppelt, heisst 100 Kinder, nach den Ferien. Auch der Gratis-Unterricht ist im Moment vorbei, wir versuchen es einmal mit einem Monats-Beitrag von 100 Gourdes (ca. 4 SFr.) pro Kind, sehen aber schon jetzt, dass das nicht alle bezahlen können.

Durch die Löcher unter dem Dach, die als Fensterersatz zum Lichteintritt gedacht waren, tritt auch viel Wasser ein und hat Bücher und Lehrmittel grösstenteils zerstört. Eine Firma hat uns Geld für Glasbausteine, Bücherersatz und neue Bücher für das beginnende Schuljahr versprochen, aber bisher wurden die Versprechen noch nicht wahr gemacht. Über die Ferien sollten die Reparaturarbeiten dringend vorgenommen werden.

Natürlich müssen wir Weissen uns nicht verantwortlich fühlen für alldas, was da geschieht und nicht geschieht. Und doch sind es unsere Vorfahren – Spanier, Franzosen und andere – die diese Menschen hieher verschleppt und uns damit reich und „gebildet“ gemacht haben, und die aus Verhütungs- Aufblähungsmittel machen und Heilmittel zu Giften vergammeln lassen, bevor sie den Unwissenden noch weiterverkauft werden und die Probleme potenzieren. Wer mich versteht, soll bitte helfen, auch wenn von dieser Hilfe nur Wenige profitieren. ESMONO muss weitergehen und ein Vorbild für Millionen werden, wir treten jetzt das zweite Schuljahr an.

 

30. Juli 2013, ESMONO beginnt die Löcher zu stopfen

 

Ich beginne mit einer neuen, monatlich ergänzten Reihe, „Esmono News“, die sich auf die Schule für Strassenkinder bezieht. Speziell für die Leser, die für Anderes bessere Quellen kennen, die gibt es nämlich auch. Das gestrige Thema war eins über Geister. Die ESMONO hat auch ihren Geist, es ist der Geist des Selber Machens.

Schon wieder haben die Grossen versagt. Diesmal die Industriellen, die man uns zugeführt hatte um zu helfen. Die Schulbuchofferten, Listen und Voranschläge verlangt und erhalten haben. Die uns Grosses versprochen und gar nichts gehalten haben. Die nicht einmal mehr Antwort geben auf meine Mails. Es kommt mir fast vor wie die Katastrophe und Haïti. Wo genauso sehr viel versprochen und wenig gehalten wurde. Wo die Presse und damit die ganze Welt kläglich belogen und betrogen wurde. Wo die Menschen grässlich verunglimpft und des Diebstahls bezichtigt wurden.

Nein, DIESE Menschen stehlen nicht. Nur die Weissen stehlen, immer noch. Verallgemeinern ist natürlich falsch, immer und überall. Es sind auch weisse Freunde, die uns helfen, immer mehr. Und ihre Versprechen einhalten. Mit der Hautfarbe hat dies nichts zu tun. Und diesen Freunden danke ich. Und bitte auch in Zukunft bei uns zu bleiben. Selbst wenn Nachrichten (man sagt neuerdings „News“) nicht immer zum Schmunzeln sind.

Die Hiesigen die hoffen natürlich, und die freuen sich. Aber sie legen die Hände nicht in den Schoss und warten auf Spenden und Hilfe. Schrittweise kämpfen sie weiter. Mit der neuesten Spende, eine Antwort auf unseren Hilferuf – nochmals unser Dank – haben sie weiter gemacht. Die Schülerzahl wurde verdoppelt, es werden jetzt 100 Kokorat sein. Der Hausnutzungsvertrag wurde um ein weiteres, drittes Schuljahr verlängert. Ein Nachbargebäude konnte mit einbezogen werden, damit die Schule wachsen kann. Das versprochene Holz-Schulhaus bleibt immer noch containerverpackt in der Schweiz, da niemand den Transport bezahlen will. Der verlangt ja auch so viel Schweizer Fränkli, dass wir damit die ganzen Schulprobleme lösen könnten, wohl für zehn Jahre und für tausend Kokorat.

Indessen haben wir einen Camion Sand gekauft, der jetzt oben auf der Brücke die Strasse blockiert. Er wird von dort über die Fusswege von hilfsbereiten Dörflern auf den Schluchtgrund hinunter, zur Schule transportiert. Dort laufen schon die Vorbereitungen zur Fabrikation der „Blocs“, wie man hier die luftgetrockneten Bausteine nennt. Dann werden die gähnenden Löcher geschlossen, und die Schule erhält einen abschliessbaren Büro- und Besprechungsraum. Die Lehrerinnen beginnen mit der Herstellung des Schulmaterials, sie werden dies nicht mehr ganz in Gratisfron leisten müssen. Von den Schülern wird künftig auch ein kleiner Obulus (100 Gourdes=ca.3 Euros/4 SFr/Monat) erbeten. Wir hoffen, dass das machbar ist.

Um die Schulbücher werden wir uns vor Septemberbeginn noch kümmern, was dank der neusten Spende knapp möglich wird. Bitte helft uns weiter, ESMONO gibt nicht auf! Mütter und Kinder kämpfen verbissen für ihre Schule, die In einem Monat wieder beginnt, das zweite Jahr.

Siehe auch:
Pisa-Studien (hier noch ein Wunschtraum)
Schulleistungen (weitere Wunschträume)

 

 

8. Sep. 2012, Vor dem Lambi zischt die Dampflok

DRIN trillerten die Geister und brodelten die Abenteuer. In das Lambi war ich verliebt. Ich kenne es seit meinem ersten Haïti-Besuch vor rund 25 Jahren. Es war einmal der Rangier- und Güterbahnhof des Zuckerbähnchens nach Léogâne. Ein Schwarzweissfilm des Westschweizer Fernsehens zeigt die romantische Bahn und Bude noch in Betrieb. Sie war von Soldaten besetzt und bewacht, um zu aufdringliche Zuckerdiebe zu verjagen. Schliesslich bekamen die Diebe die Oberhand, und die Dampflok hatte ausgeschnaubt: sie wurde samt Schienen gestohlen. Deshalb steht drüben im Zuckermuseum heute ein Platzhalter.

Auf Pfählen aus gestohlenen Schienen entstanden Hotel und Musikschuppen, die jahrzehntelang so blieben, sie gähnten sich fast zutod, heisst waren zumeist leer. Der romantische Pfahlbau stand im offenen Meer. Das lugte manchmal aus den Löchern im morschen Holzboden herauf und man hütete sich vor Fehltritten. Die schummerigen Hallen waren voller Masken und Mücken, Fischer-Requisiten und Papier-Maché-Fratzen und wohl auch Geistern. Aber es war keine Geisterhütte aus Disney- oder einem anderen Schlaraffenland, alles war echt, selbst das Papier-Maché. Wie im Bahnhof einer Geisterbahn kam man sich vor, und viele hatten Angst ins Dunkel einzutreten und blieben aus lauter Vorsicht draussen. Wir aber waren täglich hier und tafelten zu Mittag, an die lange Warterei gewöhnte man sich auch. Der Rum kostete nur wenige Gourde und war so würzig, dass man alles Meckern vergass.

Doch wenn die Musik stampfte, dann war was los. CD’s und Life-Bands mit angebeteten Sängern, das Lambi wurde zur Kultalle der Welt. Man wusste gar nicht, woher die vielen Zuhörer plötzlich auftauchten, sie waren einfach da und die Halle quetschte sich voll. Die Fischer verkauften ab den schwankenden Einbäumen Plastikbecher mit Lambi, das war ebenfalls der Name für Muscheln und Meeresfrüchte, und machten dem Schuppen Konkurrenz. Viele schürten ein Feuer im „Innern“ des Einbaums, einer klimperte sogar auf einem Laptop, in Haïti sind Gegensätze IN! Oft tanzten die Fischer auf den schwankenden Böötli bis sie kopfüber ins Wasser plumpsten.

Dann rüttelte das Erdbeben, und Romanze und Bühnenbild wurden zu Splittern und Schutt. Es blieben Ruinen, Erinnerungen, ein Bauplatz und schliesslich ein kleineres Lambi im heutigen Stil. Der ist für Besucher immer noch zwielichtig und interessant, aber kein Vergleich, wenn man das vorher gekannt hatte. Ich jedenfalls ging seitdem kaum mehr hin.

Heute serbelt das Lambi vor sich hin. Nur noch Geister krächzen in Wind oder Weiss-nicht-was, Gäste fehlen. Der Ruf des Landes ist vorbei, verlogen und doch nicht verlogen. Denn unvorstellbare Güte und Verbrechen, Leben und Tod existieren nebeneinander, fast unsichtbar. Wenn es sichtbar wird, ist es zu spät.

 

30. Sep. 2012, Haïti braucht Positivdenker, nicht Meckerer und Miesmacher!

Zug in den 40er Jahren, noch ein kleines und liebliches Städtchen in der Innerschweiz am gleichnamigen See. Auf dem auch mit dem Velo weiten Weg zur Kantonsschule, die damals noch weit im Süden der Stadt und in der Höhe lag, fuhr man an der Buchhandlung Carlen vorbei, gleich gegenüber der St.Oswaldskirche. Das war auf dem Heimweg der obligatorische Treffpunkt, und unsere Bikes (so sagt man scheint’s heute um IN zu sein) lagen auf einem Haufen und verbarrikadierten die ganze Oswaldsgasse. Das konnte sich eine Stunde lang so hinziehen, aber es erzeugte scheinbar gute Leser. Die Carlens stellten das jedenfalls nicht ab, und die Polizei auch nicht, die gleich ein paar Meter weiter unten hauste.

Hier schmökerten wir natürlich in den Büchern, es waren tausende von Titeln da, und die Ambiance stimmiger als in den steifen, staubigen Bibliotheken. Auch ich entdeckte hier so einige Leitsprüche, die meine spätere Welt und mein Leben formten. Einer hiess „Gedanken haben die Neigung, sich zu verwirklichen, für Befürchtungen gilt dies in doppeltem Mass.“ Der Spruch gefiel mir und prägte mein Leben – prägt es immer noch. Steht er doch für die Kraft des positiven Willens und Glaubens, und die logische Folge war ganz einfach: man musste nur daran glauben und Befürchtungen grundsätzlich vermeiden, und man war der Schmied seines Glücks.

Das traf haargenau die Meinung meines verstorbenen Vaters, der immer sagte: „man kann alles was man will“. Und ich habe diesen Ausspruch wahr gemacht. Geld spielte da nie eine Rolle, und wenn es trotzdem kam, umso besser. Wenn du es nicht blaubst, so lies doch meine Autobiografie (hier bestellbar) .

In einer Sahara-Oase lernte ich Max Drillien kennen, den Freund von Antoine Marie Jean-Baptiste Roger Vicomte de Saint-Exupéry, einem französischen Schriftsteller und Flieger. Max war auch Schriftsteller und schrieb sein Werk „Tranches d’Optimisme“ das er mir widmete und schenkte. Wahrscheinlich im Gegensatz zu Saint-Exupéry hielt er viel von positiver Denkart und wollte mit seinem kleinen Werk einen Berufsbildungsbeitrag liefern, einen Beruf der auch damals zu unbekannt war, Schmied des eigenen Glückgefühls. Sein Buch mit Widmung erhielt einen Ehrenplatz in einer Bibliotheksvitrine in Gresye, aber als das grosse Erdbeben tobte, nützen auch seine „Tranches d’Optimisme“ nichts mehr. Seither versuche ich es ohne schriftliche Anleitung.

Haïti war ein blühendes Indianerland, bevor Kolumbus mit den Weissen kam. Die brachten Profitdenken, Sklaverei, Verschleppung der Afrikaner, millionenfachen Tod, Hunger, Krankheiten, Elend, Not, Verderben auf die Insel und zerstörten das Paradies. Die natürlichen Katastrophen taten ein Übriges. Der einstige Reichtum wurde entführt, in die grossen Städte der „entwickelten“ Welt. Dorthin zieht es die Elitären, die es geschafft haben, das Geld für eine Ausbildung zu ergattern. Die schaffen sie dort in einer anderen Sprache, meist englisch, und in etlichen Jahren. Viele bleiben dann dort weil man jetzt gut verdient, oder einige kommen zurück und möchten das auch, und sie bringen Ideen und eine Kultur, die mit der traditionellen nicht zusammenpasst, die Realität die haben sie vergessen. Fenn was man dortrt lernt, das wird unkritisch übernommen.

Dass Haïti keine Pessimisten braucht, versteht sich. Die kommen schon gar nicht, da in ihren Augen Haïti ohnehin verloren ist, und neu beginnen wollen und können sie nicht. Das Vorurteil ist vorfabriziert.Und von den 10 Millionen Menschen lässt man 9 Millionen ruhig zu Grunde gehen, die Restmillion kann ja auswandern. Das ist ihre „Lösung“.

Es gibt auch die, die meckern bloss und wissen alles zum voraus. Sie haben es ja in den Schulen gelernt, vor allem den Universitäten. UNSEREN Universitäten. Es sind die Reichdekorierten, mit Diplomen an der Wand, Residenzen und Protzkarossen, wenn sie erst einmal hier sind. Es sind die Verkopften, die Planer, die Kaffeeschlürfer. Etwas machen die schon, aber kein neues Haïti.

Und es gibt die, die als Optimisten kommen und als Pessimisten gehen, oder sogar als Rassisten. Und das ist bedenklicher. Erwartung und Ergebnis stimmen nicht überein. Die Vorurteile haben sich bestätigt. Vielleicht sind es neue Vorurteile, vielleicht alt-eingesessene: unsere Eltern und die damals üblichen Autoren waren alle überzeugt, dass sich Tropenmenschen weniger anstrengen, nicht vorsorgen würden, weil ihnen die Früchte quasi von selbst vor die Füsse fielen und sie in paradiesischen Breiten keine Klimaschwankungen kennen und das ganze Jahr über „Ernte“ sei. Haïti aber ist nicht nur ein Land, ist nicht nur „Entwicklungswelt“. Haïti ist ein Modell ist für die ganze Welt, und deshalb schürfen meine Worte noch tiefer!

 

 

24. Okt. 2012, Den Sommer verlängert

Die Regierung handelt. Nachdem sie seit es Zeitwechsel gibt, erst dieses Jahr die Sommerzeit anerkannt hat, hält sie sich nun auch nicht mehr an die Jahreszeiten. Sie hat den Sommer nicht abgeschafft, aber verlängert. „Aus technischen Gründen“. Die Medien munkeln zwar, die wahren Gründe seien Ersparnisversuche, man wolle die Zahlung der Lehrersaläre für einen Monat vermeiden. Da ist ESMONO in einer komfortableren Lage. Bekanntlich werden jetzt nach einem ersten salärlosen Lehrerjahr bescheidene Löhne bezahlt. Liebe Leser haben uns die Lehrersaläre bereits gespendet und damit den Schulbetrieb auf ein weiteres Jahr hinaus gesichert. Danke! Da auch sämtliche Schulbücher durch eine Leserin vorfinanziert wurden und das Schulhaus auf drei Jahre vertraglich gesichert ist, sollte eigentlich nichts mehr passieren, und ESMONO ist auch für das zweite Jahr finanziert.

Und dass die Spenderin der Schulbücher eine einheimische Industrielle ist, werte ich – und ich glaube wir alle – als besonderes Omen des Glücks, eines Grundsteins des Brückenbaus zwischen den sozialen Schichten. Diese Entwicklung ist das, worauf die Welt gewartet hat, und die Strassenkinderschule von Lakou-mango ist dankbar, dazu wenigstens einen Baustein beitragen zu dürfen.

Die ESMONO ist eigentlich eine private Schule, aber die Eltern halten sich an Beschlüsse der Regierung, und so mussten auch unsere Knirpse noch warten. Hier sind sie traurig ob den verlängerten Ferien, in Europa würden sie sich freuen.

Es brauchte etwas positive Denke, ESMONO zum Laufen zu bringen. Der Anfang war schwierig wie aller Anfang, aber es war nie unmöglich. Die Freunde wollten zuerst sehen, was mit ihrer Hilfe geschieht. Dass aus den Spenden etwas Brauchbares wird, sie nicht versickern, oder „verzaubert“ werden. Kinder und Eltern WOLLTEN ja eine Schule, auch wenn im ersten Jahr niemand Geld oder Ausbildung hatte, die Lehrer begannen ohne einen Beruf und ohne Lohn. Sie fronten so ein Jahr lang und zeigten den Knirpsen eben das, was sie konnten.

Das Warten hat sich gelohnt. Dank spendefreudigen Freunden haben wir die Löcher gestopft, die Mauern ausgebessert, auf dem Dach eine Latrine gebaut. Neue Schulmöbel wurden gezimmert, Bücher gekauft, das Lehrmaterial erneuert, und drei Lehrerinnen stehen bereit. Wir diskutieren an einer vierten. Sie sind ausgebildet und werden bezahlt, ihr Lohn ist bescheiden, aber auf ein Jahr hinaus gesichert. Eine Küche und Essen gibt es halt noch nicht, vielleicht kommt das später mal.

Indessen ist Montag 1. Oktober 2012. Gestern Sonntag sollte unten in der Stadt gratis Schulmaterial abgegeben werden. Das war so attraktiv, dass sich die massierten Schulkandidaten zu erdrücken, zu vertrampeln und zu töten drohten. Fast wäre es so weit gekommen, im letzten Moment konnte die Polizei die Bleistiftverteilung blockieren und eine Katastrophe verhüten. Die Medien waren wie üblich dabei und haben alles übertragen. Wenn ich noch ein fahrbares Auto hätte, wäre auch ich dabei gewesen und ihr könntet jetzt Fotos sehen …

Auch hier in Lakou-mango waren wir bisher (man sagt „Holz aalange“, „auf Holz klopfen“, „touch wood“ usw. wenn man hofft, dass es bleibt wie es ist und nicht mehr schlimmer kommt) in einer besseren Lage, indem uns die Dörfler alles Schreibzeug gespendet hatten. Natürlich bin ich begeistert ob so lieber Leser, sie ziehen am gleichen Strick. Auch das Schulhaus ist unterwegs. Vorläufig noch ein SchulHÄUSCHEN.

Wir haben mit 40 Knirpsen begonnen. Aus 40 sind 100 geworden. Aber keine Millionen, deshalb lachen die Grossen. Unsere Mini-Arbeit dient ihnen als feine Ausrede, uns nichts zu geben. Sie vergessen zweierlei:

  1. den Sofortbedarf, man kann die Strassenkinder nicht sich selbst überlassen bis fertig geplant und vorbereitet ist.
  2. 2. Vorbild und Anreiz zur Nachahmung:

Die Grossen, von Staaten und Botschaften bis zu Kirchen und Hilfswerken haben uns stets viel versprochen, aber noch NIE etwas gespendet (bis heute, dem 1. Oktober 2012). Sie spenden angeblich andernorts (wo es „rentiert“) oder bleiben sitzen auf den Hilfsgeldern, die nach dem Erdbeben strömten. Meine Freunde und Leser brachten es allein fertig, bis zum Ende des zweiten Jahrs, das ist vorfinanziert. Die Zweifler und Meckerer sehen, die Schule läuft. Allen Crashpropheten zum Trotz.

Sagen zu Unrecht viele, „die Hilfe sei eingeschlafen“. Das kommt wahrscheinlich vor, bei denen, die mit den grossen Kellen anrühren, sichtbar ZU gross. So schwindet das Vertrauen, und man will die nicht mehr unterstützen. Wir wünschen trotzdem den Grossen alles Gute, denn es braucht die auch, wir können hier oben nur unseren Hundert helfen. Aber es sind Millionen, die dringend Hilfe brauchen. Auch wenn die zuerst mal Millionen kostet, denn das können nur Profis. Und die fronen eben nicht gratis.

In den letzten Tagen haben uns ein paar grosse deutsche Tageszeitungen und Fernsehsender kontaktiert. Und es gibt auch schon Gegenreklame. In Das Spiel mit den Tönen schrieb ich „Megaphone spielen hier überhaupt eine grosse Rolle, fast jeder hat eines. Heute stieg ich in einer ganzen Kolonne von Megaphonisten den Grat hoch, ich war der Einzige ohne Megaphon. Für Bücher brauche ich ja keinen Elektroschnabel, und zudem sind die meinen auf deutsch.“

Mitte September machten mich die Leute lachend einen Megaphönler abhören, der durchs Quartier zog und lautstark gegen die ESMONO wetterte. „Gottesgläubige Eltern, hütet Euch vor dieser lästerlichen Schule, schickt Eure Kinder nicht, die Gotteslästerer drücken Euch falsche Bücher in die Hand, aus denen man nichts lernt. Nehmt Gottes Wort aus der Bibel und lernt dies zu lesen, alle anderen Bücher sind Teufels Zeug. Behaltet Eure Kinder zuhause, schickt sie nicht in die Schule!“ Und das Megaphon trällerte für Sekunden aus und der Spruch begann von vorn. – Die ESMONO ist schon so weit, dass man gegen sie Reklame macht. Etwas Besseres kann uns ja nicht mehr passieren! Wenigstens nach meiner Meinung. Eigentlich sollte ich jetzt einen Gegenspruch erfinden, wie man in der ESMONO lesen lerne, um die Bibel besser zu verstehen und so das Heil zu finden. Aber lügen will ich ja nicht. Und erst noch mit einem Anteil Wahrheit.

Man spricht über ESMONO, vielleicht springt ein Funke und zündet einen Flächenbrand. Ein Freund scherzte dazu „willst Du jetzt Haïti noch ganz zugrunde brennen?“ Bereits kommen fast monatlich Freunde und Leser zu Besuch: aus der Schweiz, aus Deutschland, aus anderen Landen. Das ist es was mich ganz besonders freut.

Ich wieder hole: Es braucht nur positive Denker, und keine Meckerer. Der Anfang ist gemacht.

 

10. Okt.2012, Die ESMONO platzt aus den Fugen

KOMM MIT ZUR ESMONO IN LAKOU-MANGO!!!!

Und auch ich platze fast vor Freude, auch wenn ich hoffe, noch nicht aus allen Fugen zu geraten. Die 100 Schüler, deren Dokumente wir gesammelt haben, sind bestimmt da, auch wenn sich die Zwirbel schwer zählen lassen. Und die Lehrerinnen haben zu viel Energie um sich bremsen zu lassen, Bremsen und Bürokratismus überlassen wir dem Staat.

Heute habe ich die profilierten Schweizer Wanderschuhe ausgegraben und angeschnallt. Ich konnte den Gwunder nicht mehr verkneifen und bin runtergekraxelt in die Schlucht, um für meine lieben Leser, denen das alles zu verdanken ist, einen Bilderbogen aufzunehmen.

Es ist eng. Nebeneinander müssen Treppen, Steigen zur Schule und ein Wildbachkanal Platz finden, der zu Zeiten unter der „Brücke“, die bei trockenem Wetter mit geländegängigen Fahrzeugen zugänglich ist, hervordonnert und durch Kanal und Verbauungen talwärts zischt.

Planer und Denker haben hier gute Arbeit geleistet und ermöglicht, dass sogar unsere Schule gebaut werden konnte. Daneben hat sich auch etwas „Wirtschaft“ angesiedelt und man versucht das zu verkaufen, was man so in einer Schule brauchen kann.

In der Pause teilen die Besitzenden ein Butter- oder Mambabrot (Mamba=selbstgemachte Erdnussbutter, mundet herrlich) oder ein Bonbon, wie man hier eine zwiebackähnliche Brotkonserve nennt – in der Schweiz haben wir „Bundesziegel“ gesagt – mit unglücklicheren Nichtbesitzenden, und jetzt muss ich aufpassen: die Tränen stehen mir zuvorderst, nicht weil ich mit momentaner Bindehautentzündung unter Tabletteneinfluss stehe, sondern weil von innen ein rührendes Chorgebet herausleiert: „Lieber Gott wir danken Dir für das Stück Brot das du uns gegeben hast. Gib bitte-bitte auch denen ein Stück die hungern und keines haben“. So viel Kreolisch und so gut ausgesprochen dass sogar ich das verstehe.

Einige ganz Kleine versuchen zaghaft einen Gesprächsfaden zum „Blanc“ aufzunehmen, und ihre Äuglein leuchten wenn ich etwas verstanden habe.

Noch rechtzeitig hat sich die Vergrösserung unserer Schule herumgesprochen, und die Spende für eine vierte Lehrerin ist eingetroffen, auf ein Jahr hinaus vorfinanziert! Die vier Lehrerinnen müssen den hundert Fünf– und Mehrjährigen aufs Dach hinauf und in die Toilette und auch dort mehr als erwartet helfen, die älteren Schülerinnen kennen sich da besser aus. Sie helfen schon viel und tragen auch schwere Wasserkübel herbei, aber eine kinderliebende Helferin täte dringend Not.

Das Schulhaus unten in der Schlucht (Schulhaus 1)

Die drei Zimmer, die der örtliche „Schreiner“ fein möbliert hat, sind vollgepfropft bis auf den letzten Platz, und sogar vor den geöffneten Schulzimmertüren stehen Menschen Schlange und versuchen, auch noch einen brauchbaren Happen in den Kopf zu erhaschen. Im Übrigen ersehnen wir ja immer noch das kleine Holzschulhüsli, das samt Inneneinrichtung von der Schweiz unterwegs ist und so lange auf sich warten lässt. Das soll ja auf dem Dach aufgestellt werden und die überfüllten Schulzimmer entlasten. Neben den drei Zimmern gibt es jetzt auch einen Büroraum, der in einer rechten Schule „Rektorat“ heissen würde. Da stehen ungenutzte Gaben wie ein Computer mit Flachbildschirm, ein Kopiergerät und andere lokale Spenden und warten auf Strom, aber solchen gibt es halt noch keinen.

Doch das kann und wird nicht mehr lange dauern, denn zum Lesen und Schreiben reicht das Licht in den „Schulhöhlen“ keineswegs, und das wollen wir ja lernen.

Die Schule wächst, die Zimmer sind am Zerspringen – Numerus clausus herrscht, noch viele warten, sie müssen draussen bleiben. Danke meinen lieben Freunden und Lesern, wir zeigen, was wir kürzlich noch kaum zu glauben wagten. Wir trotzen dem Weltgesicht!!!

 

.

Klick für mehr Fotos

Ist das nicht eine schöne Geschichte aus dem Land, aus dem man sonst nie Schönes hört? Es gibt halt Menschen, die das Positive nie sehen können, die falschen Brillengläser tragen. ist es weil nur das Negative etwas bringt? Muss denn alles Geld bringen?

Ein Blick aufwärts zeigt fast einem Blindgänger, warum ich Hufe oder Steigeisen brauchen könnte, je nach Wetterprognose, die man sich hier natürlich vorwiegend selber macht und zur Schule hinunter kraxle, wenigstens hie und da. Da oben fast unter dem Himmel war es, wo ich vor 3 Jahren im obersten Stock – wohl weil mein Schutzengel das so wollte – gerade zugast war, als das Stockwerk und drüben in Gresye mein ganzes Haus und das Land zusammenkrachte und ich ohne eine Schramme überlebte.

Nach meiner Flucht in die Schweiz kehrte ich an den Ort des Grauens zurück, wohne immer noch im obersten Haus, das ich jetzt „Trümmerburg“ nenne, und schreibe meine Meinung über das was hier geschieht, meine „Wahrheit“ und meine Sicht. Die keineswegs der Sicht der Medien und damit der Welt entspricht. Ich schreibe meine Bücher für die „richtigen“ Opfer, für die ich unten auf dem Schluchtgrund mit einheimischen Gutmenschen zusammen die Schule für Strassenkinder veranstalte. Kinder, die sonst kein Geld für einen Schulbesuch finden würden. Ich habe ja noch die AHV, die gut dotierte Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung aus der Schweiz. Die genügt für solche Vorhaben, und Millionär muss man ja nicht mehr werden. Dafür bieten Internet & Cie. genügend Spam und andere Spinnereien, wie Gutgläubige das über Nacht werden können.

Für die Familie, meine haïtianische Frau und drei Kinder, bleibt das Alterseinkommen von „meiner“ Firma her gesichert, solange ich es noch mitmache, die werden sich damit wieder ein neues Haus in Gresye bauen, ich brauche das mitnichten. Ich brauche den Erhalt meines Kapitals, das sind meine Erinnerungen, quantitativ und qualitativ. Beides ist mein Reichtum, und an diesem fehlt es mir nicht, fehlte es mir nie.

Und selbst wenn ich einst posthum berühmt werden sollte, das ist ja einigen scheint’s passiert, kommt alles Geld den Strassenkindern da unten zu Gute, das habe ich in den Verlagsverträgen so geregelt. Und Regeln sind alles …

Ganz unten da ist ein bisschen Platz, der Lakou-mango, der Platz unter dem Mangobaum. „Lakou“ (le cou = frz. der Hals) ist ein kleiner, flacher Platz, auf dem sich das Leben abspielt, das hier fast nur noch aus Palaver und Fussball besteht. Macht nichts, es zeigt dass man immer noch lebt, wovon, wozu, wie lang, ist eine andere Frage. Der „Platz“ ist nicht nur räumlich gemeint, sondern auch als Lebensplatz. Gemeint ist die hier ansässige Lebensgemeinschaft schlechthin.

Das Lakou-System ist ein matriarchalisches Selbsthilfe- und Lebenssystem, die Lebens- und Familiengemeinschaft wird zu einer Erfahrungsgruppe. „Fam se poto mitan“, die Frau ist der Mittelpunnkt, sagen die Haïtianer. Im „Lakou“ werden besondere Probleme gelöst und wird gegenseitige Hilfe gewährt, bei Alter, Krankheit, Hunger oder Verwaisung. Waisenhäuser braucht es nicht, man ist sich das Teilen schon gewohnt, auch der Kinder. Auch der Ursprung unserer ESMONO (Ecole Soleil sur les Montagnes Noires) geht auf solche Gepflogenheiten zurück, denn es waren die Mütter der Strassenkinder, die eine Schule wollten und die kleinen Schützen auch das ABC lehrten. Du erinnerst dich, dass im ersten Schuljahr alle ohne Bezahlung fronten.

Der Lakou ist ebenso Fussball- und Vergnügungsplatz. Spielen dient zur Entspannung, meist in Gemeinschaft mit anderen. Geistige und körperliche Fähigkeiten und Regeln werden entwickelt, die Wünsche verschiedener Individuen werden geregelt. Spielen zeigt, dass das Leben stimmt und weiter geht.

 

29. Okt. 2012, Wie Otto zu diesem ausser- und unordentlich extravaganten Leben kam, lohnt sich selber zu lesen

(Leseprobe aus „Leseratte“, Pressekampagne)

Kinder Globi-Club Zugerrötel

Der „Strick“ oder „Globi“ war ich, Peter Badertscher alias „Struck“ oder „Badi“ war mein Freund, seit der Schulstube bis heute. Um mich einzuführen, wie man es dort gelernt hat, beginne ich in der Kinderstube. In der Gymi- oder Kanti-Zeit gehörte sich ein „-us“ an den Namen, also wurde ich der „Nasus“, später der „Höllo“, „Le Blanc“ und schliesslich erhielt ich den Indiandernamen „Leichte Feder“. Et cetera. Genug für eine Autobiografie, also beginne ich zu schreiben:

Ich bin 7 Jahre vor Ausbruch des grossen Krieges in die Schweiz geboren worden, eigentlich in eine bürgerliche Familie hinein, doch wegen des rundum bald tobenden Unsinns durfte ich vom Familienleben nicht mehr viel erfahren. Solang das noch ging, nahm mich Mama in ihre Badeferien ans Mittelmeer oder die Adria mit, wo die ausländischen Offiziere den jungen Mamas mit Vorliebe den Hof machten und glaubten, dass die sich für ihre Unterseeboote, Leuchttürme und Fluggeräte interessierten. Wenigstens bei den Kindern war dies der Fall.

Papa, ein heraufgedienter Bankbuchhalter, musste wie alle Schweizer an die Grenze, sechs Jahre lang. Beim Einrücken und nach grossen Urlauben stellte sich das Bataillon zur Schau, es kam auch zu Vorbeimärschen, Fahnenübergaben und andern martialischen Zeremonien mit Taktschritt, Blechmusik und vielen Pauken. Meine Mutter musste jedesmal weinen, und alle weinten, ich natürlich mit. Das führte zum ersten Trauma in meinem Leben, denn ich muss manchmal heute noch weinen, wenn ich Militärbilder sehe, Militärmusik höre, oder Pauken. Später in diesem Buch geschilderte Einschlüsse in Höhlen, drei Abstürze und Crashlandungen in Flugzeugen und andere fast-tödliche Unfälle haben in mir keine Spuren hinterlassen, ich war offenbar schon abgebrüht.

71 Jahre später, als am 12. Januar 2010 ganz Haïti mit meinem Haus sowie allem Hab und Gut und einer Million weiterer Häuser zusammenkrachte und über 300’000 Leichen und ebensoviele Schwerverletzte hinterliess, war das anders. Ich blieb – wegen eines Schutzengels oder «zufällig» – unverletzt, «wohne» seither auf haïtisch-karge Art, ohne viel Brimborium bei der Familie einheimischer Freunde und schreibe an diesem Buch.

Ich war von Geburt her Protestant und lebte in der katholischen Innerschweiz. Das strengreligiöse System war meinen Bedürfnissen nicht angepasst, im Gegensatz zum derzeitigen Lakou-System . Auch Koedukation war verpönt, und bis rauf zur Uni hatte ich überhaupt noch nie ein Mädchen gesehen. Die Sprüche aus dem katholischen Katechismus, die man im Chor nachplappern musste, verstand wohl nicht einmal der Lehrer, aber Sprache war ja nicht zum Verstehen da.

Noch im Pubertätsalter war es unter den Jungen üblich, den Mädchen Steine nachzuwerfen. Der wohl einzig ausgleichende Faktor der «Erziehung» in der Diaspora war für ein Einzelkind wie mich die Zugehörigkeit zu einer Jugendorganisation, worunter wiederum nur die Pfadfinder in Frage kamen.

So kam es, dass ich schon in der Jugendzeit soziale Aktivitäten entfaltete. Da gründete ich zum Beispiel den «Globi Club Zugerrötel», nach der erfolgreichen Schweizer Kinderbuch-Figur in der Art Papagei-Mensch mit blauem Körper, gelbem Schnabel, Kepi oder Baskenmütze und rot-schwarz karierter Hose, Kinder mögen das. Wir veranstalteten Anlässe wie den Zuger Globi-Skitag und erlangten erste Medienpräsenz. Die stieg uns nie in den Kopf, sodass uns auch nie ein Papageischnabel nachwuchs.

 

 

14. Nov. 2012, Märchen aus der Vaudou-Trommel. Vom Schmunzeln bis Schluckauf, Leseprobe

ISBN 978-3-86279-077-7 Wagner-Verlag Gelnhausen 2011

 

 

Aufstieg ins All

«Setz dich auf meinen Nacken und umklammere ihn, so fest du kannst». Fab tut wie geheissen. «Dann umarme meinen Hals mit all deiner Kraft, ich fliege schnell» sagt Marielle das geflügelte Einhorn, dann geht es ab. Im Tiefflug über die Berge zum Atlantischen Ozean, und hinaus in die Mitte des Bermuda-Dreiecks. Marielle trägt ihn zum Weltraumbahnhof.

Eine herrenlose Taucherglocke schwimmt obenauf, wie früher die verlassenen Schiffe. Marielle bedeutet Fab abzusteigen und öffnet auf unerklärliche Weise eine Tür, sie treten ein, und wie in einem Lift geht’s rasend in die Tiefsee hinunter, abwärts, abwärts, bis an den Grund. Das dauert. Fabulus ist zum Glück unsterblich. Und unter Wasser leben kann er auch, im Tauchlift atmet man überdies noch Luft.

Nach Stunden sind sie angekommen, bei der Unterwasser-Residenz der Ausserirdischen. Wieder öffnet sich eine riesige Panzertür, zu einer Schleuse, und nochmals; die beiden treten ein.

Lauter Ausserirdische krabbeln hier umher. In Weltraumanzügen, mit riesigen Helmen. Die Wesen sind freundlich, aber stumm, auf jeden Fall äusserst wortkarg. Sie unterhalten sich mit Zeichen, nonverbal. Stumm strecken sie Fab einen Helm entgegen. Es ist halb Tiefseetaucher-, halb Astronauten-, kurz ein Zauber-Kombihelm. Fabu stülpt ihn über. Unterhalten kann man sich nur noch über eingebaute Mikrophone und Kopfhörer; begreiflich, dass die das lieber bleiben lassen. Dann wird ihm eine Art Astronautenanzug angeboten. Er schlüpft hinein und verschwindet. Auch Arielle ist verschwunden, zurück in den Zauberlift und wohl an den Azüey-See in Haïti, wo Sindie immer noch wartet, jetzt allein.

Nach Tagen schieben die Ausserirdischen endlich eine Rakete in die 10 Kilometer lange Startrampe hinaus. Sie wollen aufsteigen zu einem Flug ins All. Das Wasser in dem Schlot hat sich zu einer Gaswolke verwandelt. unzählige Bläschen wie in einer geschüttelten Sprudelflasche steigen, auf. Die kleveren Ausserirdischen nutzen diesen Zustand, um die Triebwerke ihrer Startrakete zu zünden, und praktisch ohne Widerstand erhebt sie sich zuerst langsam in die Höhe. Die Geschwindigkeit nimmt aber explosiv zu, und als sie die Wasseroberfläche und die Erde verlässt, hat sie bereits Lichtgeschwindigkeit.

Das Raumschiff ist für Jahre versorgt, Nahrung und Wasser sind für tausende von Tagen verstaut, Treibstoff und Strom werden selber generiert, die Steuerung folgt von einem fernen Kontrollzentrum im Weltall aus, nichts kann mehr passieren.

Schliesslich saust der Flitzer im Elektronentempo, was mehrfacher Lichtgeschwindigkeit entspricht, an den Sternen vorbei, hinaus in unbekannte Fernen. Mond und Erde sind schon längst aus den Sinnen.

Die Welt knospet auf – und dabei sagte man doch, sie sei untergegangen. Wo hört denn Welt auf, wie weit muss ein Weltuntergang reichen, bis er als solcher gilt? Fabulus beginnt sich immer mehr Fragen zu stellen, wenn er aus der kleinen, runden Luke schaut und feststellt, dass immer mehr Milchstrassen- und Linsensysteme auftauchen und vorbeiziehen. Wohin sie nur treiben mögen? Ihr Ziel ist ihr Stern, von dem sie geleitet werden.

Verleger Hauke Wagner zu Märchen aus der Vaudou-Trommel:

Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich Ihr Manuskript „Märchen aus der Vaudou-Trommel“ gelesen. Ein Jahr nach dem Erdbeben sind die Zustände in Haïti noch immer katastrophal. Trotz Milliardenspenden verschärft sich die Krise, der Wiederaufbau hat noch nicht einmal begonnen. Schon lange leben Sie dort und Ihr Wissen und Verständnis spiegelt sich in Ihren Erzählungen wider. Mit diesem Script schaffen Sie eine wechselvolle Geschichte über ein Niemandsland und seiner Tragödie, aber auch seinem unglaublichen Zauber und Charme. Man lauscht und begreift, Realität und Mystik bezwingen die menschlichen Schwächen und Erinnerungen und führen zu einem ausdrucksstarken Bilderbogen.

Märchen sind hier an der Tagesordnung, befindet man sich doch im Land der Zombies, der Legenden und der Magie. Geschildert werden eindringliche Begegnungen und Situationen, die Besitz ergreifen von Herz und Fantasie und voller Authentizität stecken. Zwischen vielen Betrachtungsweisen und Hintergründigem erscheint eine bezwingende Leichtigkeit und deckt auf, was im Verborgenen lag. Die Originalität der Handlung entspricht der unglaublichen Präsenz, mit der sich diese Geschichte entfaltet und schmerzliche Konturen und Schicksale mit entscheidenden Momenten der Historie vereint.

Deutlich zu spüren sind Ihr fundiertes Wissen und Ihre Erfahrung. Ihr Werk ist klar strukturiert und logisch aufgebaut, Ihr Schreibstil direkt und wertend. Gerne möchte ich an dieser Stelle einige Zeilen aus Ihrem Werk zitieren, stellvertretend für die Transparenz Ihrer Erzählung: „Als Sirene hat sie die Zauberkraft einer Mambo, einer haïtischen Priesterin. Die können Noch-Menschen mit einem Fluch belegen, worauf diese einen Scheintod erleiden. Tage später werden die Toten wieder zum Leben erweckt, bei Fabulus aber nur halb. Andere Zombies werden so als Arbeitssklaven verkauft. ZOMBIE CADAVRES sind absolut willenlos, auch so weit ist Fabulus ja schon.“

Die Tantiemen meiner 5 Bücher waren für die Schule ESMONO bestimmt. Leider hat der Verleger Konkurs gemacht, und ich habe nie einen einzigen Pfennig Tantiemen gesehen. Sogar Rechnungen sind noch gekommen …

 

5. Nov. 2012, Geködert mit Vorurteilen (Plastikverbrennen inmitten von Säuglingen. Sie tragen den Tod zu den Bébés)

Eigentlich bin ich ja nicht die Regierung. Und nicht die Polizei. Und kein Journalist. Und gehöre nicht zu den Miesmachern und Meckerern, die ich immer wieder kritisiere. Und als Ausländer nicht berechtigt, zu politisieren. Aber irgendwie hat alles seine Grenzen, und irgendwo hört die Toleranz auf. Aber bitte jetzt nicht gleich wieder verallgemeinern, ich bleibe ja da in meiner „Trümmerburg“ und versuche zu helfen.

Wir haben hier schon unser „Hauptprojekt“, die ESMONO, Schule für Strassenkinder, und das genügt mir eigentlich. Trotz schönen Träumen von anderen Projekten, etwa der Regeneration der verschandelten Natur, der dezimierten Bergwälder, der Wiederherstellung der Tauchgründe und freilebenden Tierwelt. Und ich will Melissa, seit dem Erdbeben meine Gastgeberin, doch unterstützen, der es natürlich vor allem um die Gesundheit des eigenen Säuglings geht, und Säuglinge schreien ja rundum in jedem Haus.

Leider werden hier Abfälle incl. solche aus Plastik in Abfallsäcken oder offen ausgeschüttet, einfach entlang der Wege „parkiert“ und dann angezündet, mitten zwischen den Häusern voll kreischender Säuglinge. Dass die dabei entstehenden Dämpfe nicht nur für Säuglinge, sondern für alles was noch lebt tödliches Gift aushauchen scheint noch nicht allen klar zu sein.

Dass Melissa das Anzünden verhindert und dafür etwas Kleingeld verteilt, verlockt die Schänder, noch mehr Fatra (Abfälle) herbeizutragen, weil sie so noch etwas „verdienen“ können. Damit sie die weggetragenen Kehrichtsäcke nicht einfach anderswo deponieren und verbrennen, habe ich Melissa gebeten , sie doch vergraben zu lassen. Das gibt wieder „Arbeit“ und etwas Bezahlung. Hoffentlich wird der „Tarif“ für Aball-Löcher nicht allzu bekannt. Denn leider ist meine AHV (Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung) etwa am Ende. Und eigentlich für die Schule vorgesehen. Müssen wir neuerdings auch noch für die Abfallbeseitigung betteln?

Sollten wir damit die Verkrebsung des einen oder anderen Säuglings verhindert haben, so haben wir wenigstens ein gutes Werk, und allerdings auch etwas für die Bevölkerungsexplosion statt dagegen getan …

Ich zitiere aus meinem Buch, OTTOS TIERGESCHICHTEN S.64/Touristen die besser zuhause blieben „Die Touristen begannen, den Flugkünstlern Nahrung im Fluge zuzuwerfen, später Butter- und Würstchenbrote mit der Hand hinzustrecken – sie wurden auch da im Sturzflug geholt, und schliesslich das Sandwich sogar mit dem Mund hinzuhalten, ein rechter Adler holt ein Sandwich auch aus dem Mund. Schliesslich standen da Tafeln, das Füttern der Vögel sei strengstens verboten. Denn die Adler begannen, Würstchen mit Lippen zu verwechseln und es gab jetzt Verletzte.“

Ein Leser hat mir die gestrigen Meldungen in der Schweizer Pendlerzeitung „20 Minuten“, der meistgelesenen Tageszeitung der Schweiz, zugesandt. Was da berichtet wird – ich zitiere daraus „54 Tote (es waren über 60), 20 000 Häuser zerstört, 350 000 Haitianer leben in temporären Zeltlagern, 600 000 starben an der Cholera, 1,2 Millionen haben keinen Zugang zu Lebensmitteln und frischem Wasser“ zeigt die Wahrheit, aber sehr einseitig. Katastrophen haben weltweit meist tragische, aber äusserst lokale Auswirkungen. Bei Flutungen wie Sandy sind es natürlich die Niederungen. Wir wohnen in Lakou-mango ob Pétion-Ville, wo das Wasser sofort abläuft und alles „normal“ ist. Die Menschen tanzen und singen.

Ich wohne mit Einheimischen seit 25 Jahren in diesem Wunderland und will nie mehr weg. Und schreibe neben Büchern täglich positive Artikel ins Internet, aber die werden gewissentlich verschwiegen. Sie sind „zu gut“, und Menschen wollen nur Schlechtes hören. Das grösste Problem liegt bei UNS. WIR wollen gefüttert und geködert werden. Die Köder sind nicht mehr Butterbrote mit eingeklemmten Würstchen, sondern Schreckensmeldungen und Vorurteile, die potenzieren sich in der Folge. Auch hier bleiben Verletzungen übrig. Zwar nicht an den Lippen, aber an den Herzen.

Natürlich  beschränke ich meine Kritik nicht auf „20 Minuten“ – das ist ein reiner Zufall. In allen Medien sieht es gleich aus, in den USA noch schlimmer.

 

6. Nov.2012, Sandy hat ESMONO vom Schuldesaster verschont

Die ESMONO in Lakou-mango leibt und lebt!

Traurig, nach erster Schadenbilanz 60 Tote, 20 000 Häuser zerstört, Strassen und Brücken sind unbefahrbar, 1,2 Millionen Menschen haben keinen Zugang mehr zu Fluchtwegen, Lebensmitteln und frischem Wasser, die meisten Spitäler sind zerstört.

Haiti versinkt im Elend. Der Hurrikan hat Ernte und Flüchtlingslager zerstört. In denen bisher noch immer 350.000 Menschen lebten, jetzt leben sie im Freien. Die Cholera allein hat schon 600.000 Menschen dahingerafft, jetzt wird diese Zahl noch steigen. Michel Martelly hat den Notstand ausgerufen.

Droben wo Melissa & Mystal her kommen sieht’s schlimm aus: man kommt gar nicht mehr hin, die neuen Eisen- und Betonbrücken und Strassen der UNO sind alle zerstört, die Häuser zerstört, kein Brotofen mehr, kein Essen mehr, keine Ernte mehr, keine Zukunft mehr. Erdrutsche, neue Seen und ganz neue Landschaft …

189 Schulhäuser zerstört, durch Erdrutsche, abgeschlittert, zusammengebrochen, oder einfach versunken. Für lange Zeit gibt es keine Schulen mehr. ESMONO hatte Glück und ist „unversehrt“. Dank einem äusserst effizienten Hochwasserkanal, der die Wasser ohne Schäden abführte. ESMONO wurde unmittelbar neben dem gierigen Kanal gebaut.

Schon am nächsten Tag begann die Schule wieder, und das Dach wurde „abgedichtet“ – mit 7 Sack Zement. Das Lied wurde aufgenommen (hast du es gehört?)

Neue Bücher werden verteilt. Gespendet durch eine Leserin. ESMONO lebt!!!

 


18. Dez. 2012, Muss es denn immer Rigi sein?

 

Auf dem Rückweg fahren wir in Gresye vorbei, wo einst das Herz meines Vorbebenhauses klopfte. Wir werfen einen letzten, kurzen Augen-Blick auf die Trauerstätte, die jetzt Rosi zu einer Stätte der Zukunft verzaubert. Obschon sie in der Schweiz pflegerische Berufe erlernt hat und da für ein paar Jahre arbeitet, um sich so ein neues Haus zusammen zu sparen, — auch ich habe ihr meine dortigen Mittel überlassen, die AHV geht an die Schule wie du ja weisst, ist sie Haïtianerin geblieben und hat das Zaubern nicht verlernt (ihre Mutter war ja eine Mambo). Während der Ferien baut sie am Unglücksplatz in Gresye wieder ein neues Haus für eine neue Zukunft. Das Fundament ist im Werden und sollte hoffentlich das nächste Schütteln heil überstehen, das ist ja angesagt. Nur weiss niemand wann.

Rosi und ihre Getreuen bauen wieder auf, ganz Haïti baut wieder auf. Das geht halt langsamer als es beliebt. Ich wünsche Rosi und dem Land einen erlebbaren, glücklichen Wiederaufbau!

So geht die Fahrt wieder zurück ins Grau und Grauen des Alltags, das hier für die Meisten trauriger Dauerzustand ist. Doch selbst das graueste Grau hat seine goldene Seite, wenn man es von der richtigen Seite betrachtet: für einige Sekunden am Abend wird es goldfarben, nur sehen das die meisten Menschen nicht, sie sehen nur metallenes Gold glänzen. Und auch das messen sie nicht in Farbwert, sondern nur in Geldwert. In der Nähe steht ein Wald von Antennen, denn hier pulsiert das Herz der haïtianischen Kommunikation, auch unser Internet wenn die Antenne zur Schweiz nicht windzerzaust herunterhängt. Aber das interessiert uns heute weniger, eher die Fernsicht, die überwältigt und umfasst beinah das ganze Land. Bauplätze für Protze gibt es keine mehr, selbst die Plätze für Würstlistände, Kioske und Cie. sind längst ausgegangen.

Auch Taraz, die Siedlung der Superresidenzen fällt dahin, die sich rund 1000 Meter über Meer kilometerweit über einen Höhenzug erstreckt, wo man sich beim Sicherheitsposten einschreiben und den Pass deponieren muss (die wollen wissen, wer da hinauf kommt, und sich absichern … )

Lesen und Schreiben ist immer noch besser, das lernen die Kinder wenigstens richtig!  

Doch Lesen und Schreiben allein genügt nicht zum Überleben. Hilfst Du mit?Pro-Esmono

Ein Leser schreibt: „Ihre Berichte sind wohl die einzigen aktuellen sowie glaubwürdigen überhaupt, welche zur Zeit zu bekommen sind. Herzlichen Dank dafür!

Und ein anderer Leser: Ich finde den Otto Hegnauer seit Jahren eine Wucht… beeindruckend!

Und Otti kontert: Die Wucht sind die haitischen Mitarbeiter. Und eben das Zauberwort: Motivation!

Gerontologieblog der Universität und Stadt Zürich

Rückspiegel

Texte zum Wählen und Wühlen

Videos thematisch

ESMONO-Seite

Hilfe an SOGEBANK Haiti Kto. 17-1103-863-6, oder

Pro Esmono, Zürcher Kantonalbank Kto.1100-05239615, IBAN CH52 0070 0110 0052 3961 5, SWIZKBKCHZZ80A. Danke!